Eine Herausforderung natürlich, aber keine neue. Neu ist, dass diese Thematiken bei Klienten, speziell bei Investoren, so weit oben auf der Agenda stehen. Die wollen von uns Lösungen, und sie wollen bei deren Entwicklung auch mit involviert sein. Das ist ein Novum – und ich begrüßees absolut.
Inzwischen schon. Die Tendenz zum Greenwashing nimmt ab.
Wir formulieren eine eigene Haltung. In deren Zentrum steht der Begriff der Gesundheit. Gesundheit und Komfort gehören zu unseren spezifischen Nachhaltigkeitsparametern. Es geht nicht nur um CO₂-reduzierte Gebäude, und es geht auch nicht nur um die äußeren Hüllen von Häusern, sondern auch um gesunde Innenräume. Was zählt, ist, wie Architektur Gesundheit fördert.
Drei Bereiche sind hier wichtig: soziale Gesundheit im Sinne von Gemeinschaft. Physische Gesundheit, das heißt Gebäude, die uns zum Beispiel zur Bewegung animieren. Und mentale Gesundheit, also die Sicherheit, die ein Gebäude ausstrahlt.
Nein, die Leitbegriffe treiben uns letztlich schon seit den 1990er Jahren um. Aber damals wussten wir noch nicht, wie daraus wirklich Architekturprinzipien werden können. Da sind wir jetzt einen Schritt weiter.
Positiv an diesen Prinzipien: Hier formuliert mal ein Architekturbüro eine spezifisch architektonische Haltung um Thema Nachhaltigkeit. Bisher hatte man oft den Eindruck, die Architektur wäre hier eher Getriebene.
Und das wäre schlecht. Wir Architekten müssen unseren Beitrag leisten, müssen diesen aber auch artikulieren. Wie funktioniert denn Community Building? Was ist das Soziale an einem Gebäude genau? Die von uns eingeführte Kategorie der Gesundheit in der Architektur macht das fassbar, bezogen auf das Wohnen, aber zum Beispiel auch auf die Welt der Arbeit.
Natürlich geht es um beides. Wie dürfen im Stadtraum keine Monofunktionalität mehr schaffen, müssen aber auch im Gebäude Menschen nach Möglichkeit hierarchiefrei zusammenbringen.
„Was zählt, ist, wie Architektur Gesundheit fördert.“
Ben van Berkel
Richtig. Und ich möchte meine Klienten ermuntern, sich in Sachen ESG nicht zu früh zufriedenzugeben. Nehmen wir zwei Beispiele aus unserer Tätigkeit, das Echo-Gebäude der TU Delft und den Tech-Campus, den wir für Booking.com in Amsterdam realisiert haben. Beides sind komplett ESG-konforme Gebäude. Zugleich loten wir mit ihnen aber auch aus, wo die Grenzen unseres bisherigen ESG-Begriffs liegen – und was wir alles schlicht noch nicht wissen über die soziale oder ökologische Wirkung von Architektur. Wann ist denn ein Gebäude wirklich komplett sozial? Und welchen Wert hat es dann? Denn wir dürfen eines nicht vergessen: ESG kostet erst mal Geld. Ein gesundes Belüftungssystem, eine gute Akustik, mehr Tageslicht – alles sinnvolle Dinge, die aber die Kosten eines Projekts schnell um zehn Prozent steigen lassen. Wir arbeiten intern daran, auch mithilfe digitaler Tools, hier für mehr Transparenz zu sorgen.
Nein. Bei uns arbeiten auch Ökonomen, die wissen, wie der Real-Estate-Markt tickt, ebenso wie Ingenieure. Nur so schaffen wir ein wirkliches ESG-Mindset.
Einen riesigen Wandel, wie der Sprung vom Handzeichnen zum Computer. Sustainability leitet eine völlig neue Zeit ein.
Inzwischen sind häufig die Klienten die Treiber – zum Glück. Ein weiterer wichtiger Faktor: die Regulierung. Die EU nimmt sich dieser Themen inzwischen stark an. Die deutsche oder holländische Regierung auch. Das heißt, die Investoren können gar nicht anders, als den Ball aufzunehmen. Aber – das tun sie auch. Und viele Investoren neigen heute dazu, direkt mit Architekten zusammenzuarbeiten. Nicht jeder klassische Entwickler kommt da überhaupt noch mit. Die Investoren werden immer aggressiver. Sie wollen kein Greenwashing mehr – und kein Social Washing.
Das tun sie geradezu paradigmatisch. Das ist ja ein durchaus kompliziertes Umfeld. Besonders hier ist Community der Schlüssel zum Projekterfolg.
Natürlich. Gerade in solch heterogenen Vierteln kann Architektur ihr volles Potenzial entfalten. Und: Die Bahnhofsnähe reizt mich. Früher waren Bahnhöfe die aufregendsten Orte der Städte, gerade in Europa. Das hängt natürlich mit Architektur zusammen – wir hatten einfach sehr schöne Bahnhöfe. Aber auch den Optimismus, die Erbaulichkeit des Reisens spürte man dort. Heute gilt das nicht mehr. Da ist es doch eine reizvolle Aufgabe, die Schönheit des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs wieder zu aktivieren. Es gilt, hier ein lebenswerteres Umfeld zu schaffen, an dem die Menschen sich gern aufhalten – auch abends. Vor dieser Herausforderung stehen Städte wie München oder Frankfurt genauso wie Utrecht oder Rotterdam. Es hat schon seinen Sinn, dass bei „ESG“ das „S“ in der Mitte steht.
Interessant, dass du das sagst – ich predige in unseren Teams dasselbe: Vergesst nicht, dass wir dann gesund bauen, wenn wir auch kulturelle Aspekte in ein Projekt einbringen. Unsere Klienten sind von der Betonung des Kulturellen manchmal etwas verunsichert. Mit der ökologischen Nachhaltigkeit fühlen sie sich wohler, weil sie einfacher messbar ist. Und klar, Architektur selbst „ist“ per se keine Kunst, aber sie schafft einen kulturellen Wert. Ohne kulturelle Anziehungskraft entfalten Gebäude kein Leben. Deshalb freue ich mich so sehr, wenn wir beides zusammenbringen wie in unserem Projekt „STH BNK by Beulah“ in Melbourne. Dort zieht ein Ableger des Pariser Centre Pompidou ein. Ein Beleg für meine These, die du kennst: Architektur steckt immer im Spannungsfeld zwischen Art und Airport.
Einiges. Man hat hier sehr viel Verantwortung als Architekt, mehr als in anderen Ländern. Man führt das ganze Projektteam an. Und etwas verändert sich gerade: Deutschland ist zunehmend offen für internationale Architekten. Und zwar nicht nur wegen deren ikonischer Formen, sondern auf der Suche nach architektonischen Lösungen, die vom Inhalt eines Projekts her kommen. Man fragt, was ein Gebäude wirklich leistet.
Vielleicht einen gewissen Pragmatismus, eine gewisse Coolness. Wir verlieren uns nicht in Gestaltungskämpfen, sondern suchen nach menschlichen Wegen, Probleme zu lösen. Dieser Art Gestaltung gehört die Zukunft.
Das ist sicher ein mutiges Statement. Was wir meinen: Gebäude müssen Widerstandskraft haben – auch noch in zehn Jahren. Dann machen sie die Zukunft zukunftssicher. Aber das müssen wir unseren Klienten eben auch belegen. Wir müssen die Zukunft mitdenken.
Richtig. Da arbeiten Sozialwissenschaftler, um uns zu erläutern, wohin die Gesellschaft sich bewegt. Wie arbeiten wir künftig zusammen, wie wollen Menschen miteinander leben? Das kann ich als Architekt nicht einfach vorgeben. Dafür braucht es Forschung. Ein Beispiel: Wir haben den Auftrag für den Bahnhof Chamartín in Madrid gewonnen. Bei einem solchen Projekt muss ich fragen: Wie passt das Projekt in die Stadt hinein – nicht heute, sondern in acht Jahren?
Hier befassen wir uns mit User Experience Design. Es geht um Sinne, um Sinnlichkeit. Was fühlen wir, wenn wir mit Gebäuden leben? Welche Rolle können innovative Materialien spielen?
Häufig. Viele Entwickler kommen mit einer Produktidee zu uns, wollen aber Input, wie diese umgesetzt werden kann. Auch das Konzept der Unternehmenskultur und der Marke spielt hier eine große Rolle. Booking.com zum Beispiel wollten Räume schaffen, die zur Organisationsstruktur und zur Marke passen. Ein Büro wie ein Urlaubsort. Ich denke, die haben sie bekommen. Auch das ist soziale Architektur.
Erfreulicherweise ja. Das ist anders als in den 1970er Jahren. Da hatten die Architekten immer Angst vor zu viel Einfluss von außen, vor Klienten oder Bürgern, die ihnen die Farben vorgeben oder Ähnliches. Das hat sich geändert. Partizipation funktioniert. Und vergessen wir nicht: Es geht heute nicht mehr nur um Grundstückswerte, um den Wert der Lage. Sozial funktionierende Architektur eröffnet die Chance, überall gute Gebäude und Quartiere zu realisieren. Daran mitzuwirken ist doch sehr aufregend.
Ben van Berkel gründete UNStudio in Amsterdam zusammen mit Caroline Bos. Er graduierte an der Amsterdamer Gerrit Rietveld Academie und der Architectural Association (AA). Vor seiner Bürogründung arbeitete er unter anderem bei Zaha Hadid und Santiago Calatrava. Er lehrte unter anderem an der Columbia University in New York und in Harvard.