Als Entwickler und Finanzierer kommen Sie selten dazu, einmal innezuhalten und sich zu fragen: Für wen bauen wir eigentlich? Genau mit dieser Frage aber haben mein Partner Stefan Klein und ich vor Jahren begonnen, unsere eigene Rolle in der Anbahnung und Realisierung großer Bauprojekte in unseren Innenstädten grundlegend zu reflektieren. Wissen wir eigentlich, für wen unsere Projekte wichtig sind? Wie die Menschen darin leben, wie sie damit leben? Was die Rolle von Architektur und Städtebau für die Nachbarschaft ist, für die Stadtgesellschaft, für die gelebte Sozialität in Deutschland und Europa? Für wen bauen und investieren wir – diese Frage hat uns, hat mich dazu gebracht, Architektur nicht mehr als schönen Selbstzweck zu betrachten, sondern sie von ihrem Ende her zu denken. Von ihrer Wirkung her, ihrem Impact, wie es heute heißt. Und weil dieser Impact komplex ist, müssen wir als Entwickler ein neues Referenzsystem entwickeln. Was nicht heißt, dass wir künftig unprofitabel planen müssen. Natürlich gilt es, mit Projekten auch Geld zu verdienen. Aber dies ist kein Selbstzweck. Deshalb braucht es neue Zielsysteme.
Wir müssen Projekte ganzheitlich denken. Dies bedeutet, wegzukommen von den klassischen räumlich-programmatischen Angeboten. Diese werden überflüssig, weil sie isoliert im urbanem System keinen Wert mehr haben. Einfach nur zu sagen „Bürogebäude“ oder „Wohnungsbau“ reicht nicht mehr. Die Frage ist, wie ein Bürogebäude im sozialen, im stadträumlichen Kontext funktioniert. Wie es Kommunikation ermöglicht, wie es Nachbarschaften schafft. Wie es unsere Städte städtischer macht. Die Kategorie des Städtischen ist für uns in unseren Planungen zentral. Sie muss es sein. Denn unsere Städte erleben momentan mehrere Krisen zugleich. Und dennoch kann das, was wir das Urbane nennen, das urbane Erleben, auch einen Weg aus diesen Krisen bahnen. Deshalb nennen wir dieses Magazin „Urban Matters“. Nicht, weil es nur um Metropolen geht. Aber weil das Versprechen des Urbanen eines ist, das viel von funktionierender Gemeinschaft transportiert. Um diese Gemeinschaft geht es uns. Dabei ist klar: „Stadt“ ist nicht statisch. Der urbane Raum ist ständig in Transformation begriffen, weil er von gesellschaftlichen Megatrends geformt und beeinflusst wird. Eine Melancholie im Sinne des „früher war alles besser“ ist unangebracht und führt auch zu nichts. Ja, momentan entstehen neue städtische Leerflächen. Aber mein Appell: Lasst uns die Leere als Chance begreifen. Lasst uns die Stadt neu befüllen, sie re-imaginieren. Das bedeutet nicht, den urbanen Kosmos komplett neu zu erfinden. Aber es bedeutet, ihn noch einmal anders zusammenzusetzen – und sich von überkommenen Denkschemata und Funktionstrennungen zu lösen. Und vielleicht auch von der einen oder anderen zu strikten Regulierung.
Dies impliziert ein eigenes Bild, eine Vision von urbanem Zusammenleben. Dieses muss über die Innenstadt als Konsumzone hinausgehen. Das bedeutet, dass wir uns als Entwickler nicht scheuen dürfen, auch in die Randzonen des städtischen Kosmos zu schauen und dort aktiv zu werden, Es heißt aber auch, dass wir Downtown neu denken. In Köln beispielsweise tun wir das gerade. Mit zwei Projekten arbeiten wir dort an einer Vorstellung der städtischen Einkaufszonen, die sich nicht auf die Generierung funktionierender Konsumangebote beschränkt. Das bedeutet auch, nicht nur die Erdgeschosszonen in den Blick zu nehmen. Denn Stadt hört mit dem Ladenbereich auf Straßenlevel ja nicht auf. Wenn wir sagen, wir müssen Stadt neu denken, dann ist das eine Forderung, die auch unsere Stadtverwaltungen betrifft. Gerade die haben sich in den vergangenen Jahren, mit dem Versuch, dem Immobilienmarkt gerecht zu werden, regelrecht selbst verzwergt. Man plante für Ankaufsprofile von Asset-Managern oder Fonds. Da wurden, in vorauseilendem Gehorsam quasi, strikte Trennzonen definiert. Wohnen wurde von Arbeit radikal separiert. Wir treffen häufig auf ein Baurecht, das Durchmischungen faktisch unterbindet. Hier können Stadtverwaltungen und Gesetzgeber viel mehr Offenheit wagen, auch in engem Dialog mit zukunftsfähigen Entwicklern und Investoren.
Das betrifft auch das Thema der urbanen Mobilität. Die autogerechte Stadt ist nicht automatisch eine menschengerechte. Hier müssen wir das Potenzial des Stadtraums neu denken. Eine Art räumliches Urban Mining ist gefordert. Eines, das nicht nur die im städtischen Kontext verwendeten Baumaterialien als Ressource begreift, sondern auch das Potenzial der Flächen selbst. Die Chancen für ein solches erweitertes Urban Mining sind offensichtlich. Geschätzt 15 Prozent aller Parkhausflächen dürften in den kommenden Jahren wegfallen. Ebenso 15 Prozent der Einzelhandelsflächen und vielleicht 50 Prozent der Bankfilialen. Kirchen und Gemeindehäuser werden reduziert, ebenso wie Tankstellen und, leider, auch unsere Kinos. Auf diese Veränderungen müssen wir reagieren. Indem wir Erdgeschosse transformieren. Indem wir hybride Formen zwischen Arbeiten, Wohnen und Leben erdenken. Indem wir urbane Rohlinge für neue Formen des Zusammenlebens schaffen.
Für uns als Entwickler oder Bauherren bedeutet das, dass wir auch uns selbst neu erfinden müssen. Es ist doch bemerkenswert, dass „Bauherr“ eine der wenigen Professionen ist, die keine vorgeschriebene Ausbildung, ja nicht einmal eine Zertifizierung brauchen. Wenn es aber keine extern definierten Standards gibt, müssen wir diese eben selbst entwickeln. Wir müssen als Entwickler miteinander diskutieren, was sinnvolle Ausbildungsstandards sind. Und wir müssen Messkriterien definieren, die belegen, wenn ein Entwickler sich an mehr orientiert als an der eigenen Profitmaximierung. Und wo wir schon beim Thema Messverfahren sind: Dieses ist auch für die Diskussion über Impact-Investitionen insgesamt zentral. Wir müssen Wege finden, Impact zu quantifizieren. Das kann nicht ausschließlich über pekuniäre Parameter geschehen. Dennoch brauchen wir für jedes Projekt, aber auch für jedes Quartier, Messgrößen, die den Impact von Investitionen objektiv belegen. Es gilt, den Ist-Zustand wirklich realistisch zu analysieren und Messreihen aufzulegen, welche die Veränderung auch im Zeitablauf messbar machen, die also nachverfolgen, welche sozialen und ökologischen Effekte ein Projekt in the long run hat.
Dies heißt für uns als Entwickler auch, dass wir unsere einzelnen Projekte ganz anders denken müssen – nicht nur als Managementaufgaben, sondern zugleich auch als Laboranordnungen. Aus jedem Projekt lässt sich für andere Projekte etwas lernen. Wenn wir das akzeptieren, müssen wir unsere Projekte objektiv und außerdem kritisch analysieren – und sie auch von externen Beobachtern analysieren lassen. Die Ergebnisse dieser Hinterfragungen müssen wir dann unserer Branche als Ganzer verfügbar machen, um daraus zu lernen. Die reine Selbstbezogenheit des einzelnen Entwicklers hat in unseren hochgradig vernetzten und kollaborativen Zeiten ausgedient. Daraus ergibt sich auch eine Notwendigkeit, mit der Wissenschaft als Knowledge Generator zu kooperieren. Wir bei ehret+klein haben deshalb die Zusammenarbeit mit akademischen Institutionen zum Prinzip erhoben. Wir öffnen unsere Projekte als Petrischalen für wissenschaftliche Untersuchungen. Wir machen uns transparent – auch wenn das mal zu Ergebnissen führt, die wir uns als Firmenchefs anders gewünscht hätten. Das heißt: Auch die Unternehmenskultur von uns als Entwickler muss sich verändern, ebenso wie die anderer Player in unserer Branche.
Michael Ehret ist Gründer und heute im Beirat von ehret+klein. Ehret studierte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Karlsruhe und der Nottingham Trend University. An der Harvard Business School absolvierte er ein Studium Owner/President Management. Seine Karriere startete bei der Tepasse AG. Seit 2018 ist Ehret Lehrbeauftragter der Hochschule Karlsruhe und Biberach für Technik und Wirtschaft.