Kunst als Beitrag und Spiegel

Das Künstlerkollektiv broke.today mischt die Münchner Kunstszene auf. Wir trafen Mitinitiator Fillin Guas in einem leer stehenden Haus in Schwabing zum Gespräch über die Kraft des Kollektivs und die Frage, wie viel Kritik die Immo-Branche verträgt.

Kunst als Beitrag und Spiegel

Wenn man glaubt, dass Kunst nicht viel mit Kommunikation zu tun hat, dann ist Fillin Guas der Gegenbeweis. Der junge Mann, den ich in seinem Atelier in Schwabing treffe, kommuniziert viel und mit allen – zumindest mit allen, die einen Sinn für Kunst haben. Die mit Kunst die Stadt besser, bunter, spannender machen wollen. Gerade war er bei einem Round Table zum Thema Street Art. Nachher kommt ein russischer Künstler zu Besuch in das leer stehende Haus in München-Schwabing. Dazwischen berichtet er über sein Engagement in der Münchner Kunstszene – offen und entspannt.

„Ich verstehe gar nicht, warum Künstler oft den Dialog mit anderen Akteuren in der Stadt scheuen. Davon können doch alle nur profitieren.“ Sollte man meinen. Und doch bestehen immer noch reichlich Scheuklappen. Gerade zwischen Bauträgern und Kunstschaffenden herrscht häufig Funkstille. Viele Künstler wollen die kritische Distanz zum Kapital nicht verlieren – was grundsätzlich verständlich ist, aber eigentlich kein Grund für komplette Kontaktbeschränkungen. Vielleicht liegt die Scheu daran, dass andererseits viele Investoren oder Projektentwickler die Kunst immer noch nur als schönen Schein sehen, als temporären Schmuck für unambitionierte Projekte oder eine im Kern konventionelle Architektur. So manche Initiative endet, wenn ein Projekt ausläuft oder ein Manager die Lust am komplizierten Thema Kunst verliert.

Umso besser, wenn sich denn mal eine langfristige Form der Zusammenarbeit ergibt. Mit ehret+klein kooperieren Fillin Guas, der eigentlich anders heißt, und das von ihm mitgegründete Künstlerkollektiv broke.today seit Jahren. Die Kooperation begann mit einer Zwischennutzung des historischen Maschinenhauses Schwabing. ehret+klein entkernen das Gebäude momentan, um dort ein Großraumbüro mit loftartiger Nutzung sowie angeschlossener Gastronomie mit Außenbereich zu errichten. Zuvor konnten Guas und seine Truppe dort Graffiti sowie Street und Urban Art produzieren und ausstellen. Ein temporäres Kunstzentrum entstand, mit Ateliers, kleinen Ausstellungen und Vernissagen sowie Graffiti-Workshops für Kinder aus der Nachbarschaft.

Basis des Ganzen war die Idee des Kollektivs. Diese ist für broke.today überhaupt handlungsleitend. Damit dockt die Initiative an ein Kernkonzept des aktuellen Kunstdiskurses an. Kollektive sind nicht nur beliebt, sie scheinen einfach in unsere Welt zu passen. In der Zeitschrift „Texte zur Kunst“ schreiben Katharina Hausladen und Genevieve Lipinsky de Orlov: „Kooperationen und Kollaborationen sind Schlüsselbegriffe des globalisierten Kunstfelds. So verwundert es nicht, dass Kollektive in der Kunst derzeit hoch im Kurs stehen.“ Und dabei, dass lebenswerte Quartiere entstehen, kann die Kunst helfen, so Fillin Guas: „Kunst, Stadtentwicklung und Architektur funktionieren super zusammen. Die Kunst bringt die Menschen, die die Stadt weiterentwickeln, mit denen zusammen, die in ihr leben.“ Das heißt auch, dass die Kunst sich auf den Stadtraum beziehen soll – und zunehmend wird. Die künstlerischen Arbeiten von Fillin Guas selbst tun das: Sie sind an die Technik des Tagging angelehnt, also der Verarbeitung von Buchstaben in (oft illegalen) Arbeiten im Stadtraum, an Häuserfassen oder Brücken.

„Koopera­tionen und Kolla­tbora­tionen sind Schlüssel­begriffe des globa­lisier­ten Kunst­felds.“

Kunst als Beitrag und Spiegel
Kunst als Beitrag und Spiegel

Aber auch wenn Kunst sich heute gern auf Architektur bezieht und mit ihr arbeitet – widerspruchsfrei fällt die Kombination beider Welten nicht immer aus. Und das muss sie auch nicht. Für Unternehmen der Immobilienbranche stellt die Auseinandersetzung mit Kunst vielmehr eine Chance dar, selbst einmal die Außenperspektive einzunehmen und das eigene Tun mit anderen Augen zu betrachten. Die Kunst hält der Branche so auch den Spiegel vor. Das ist wichtig, weil in einem kulturellen Engagement auf diese Weise für Unternehmen die Chance besteht, auch die eigene Mitarbeiterschaft aus der zu eng gefassten Immo-Bubble herauszulocken.

Ein Ansatz, den broke.today zum Beispiel im ehret+klein-Projekt in der Schwanthaler Straße 57 durchexerzierten. Ein interaktives Theater initiierten sie dort, inklusive der provokanten Präsenz einer fiktiven „Prostituierten“. „Damit haben wir die Omnipräsenz des Themas Geld in unserer Gesellschaft kritisch hinterfragt“, so Fillin Guas. Ein Statement, das für einen Projektentwickler natürlich ungewohnt daherkommt – aber vielleicht genau deswegen funktioniert.

Doch auch wenn die Kooperation zwischen broke.today und ehret+klein in mancher Hinsicht richtungweisend sein mag – insgesamt bleibt in Sachen Zusammenarbeit zwischen Projektentwicklern und Kunstwelt noch Luft nach oben, auch in München. Fillin Guas wünscht sich zum Beispiel ein Verzeichnis aller leer stehenden, für Zwischennutzungen also geeigneten Gebäude. Außerdem müssten die Entwickler die Kunst auch jenseits der Übergangszeit bis zum Abriss oder zur Sanierung mitberücksichtigen. Auch bei Entwürfen von Architekten könnte die Kunst gleich mitgedacht werden. „Praktisches Beispiel: Brandschutzwände. Die kann man wunderbar mit Kunst bespielen.“ „Dann müssen die Architekten das aber gleich in der Entwurfsphase mitplanen.“

Wenn sie das tun, kann die Kunst nicht nur einzelne Gebäude besser machen, sondern auch die Identität ganzer Städte weiterentwickeln. In Athen beispielsweise ist zu sehen, wie Street Art und Urban Art die Identität des urbanen Molochs transformieren helfen. Auch in München geht das – oder vielmehr ging es schon mal, so Guas. „Ich habe immer das Bild dieser Stadt in den 1970er Jahren im Kopf. Damals gab es hier ein sehr spannendes Umfeld für Kulturleute. Es war Geld da, aber auch ein Interesse an der Kunst – und eine Offenheit, auch mal wirklich verrücktes Zeug zu machen.“ In der Tat, diesen Geist wünscht man der Stadt mitunter zurück.

„Die Kunst bringt die Menschen, die die Stadt weiter­entwickeln, mit denen zusam­men, die in ihr leben.“

Kunst als Beitrag und Spiegel
Kunst als Beitrag und Spiegel

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