Wie Mobilität die Um­bau­kul­tur befeuert

„Räume der Mobilität“ ist nicht nur das Thema dieses Heftes, es ist auch der Titel der IBA München, die gerade startet. Eine der IBA-Treiberinnen ist Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Wir sprachen mit ihr über Ziele und Erfolgsfaktoren dieser ungewöhnlichen Bauausstellung.

Elisabeth Merk

Frau Professor Merk, die IBA München geht los. Ein Memorandum war die Basis, jetzt haben Sie die IBA-Gesellschaft gegründet. Für eine Stadtbaurätin ist so etwas ein echtes Highlight im Job, oder?

Ja, das ist schon etwas Besonderes. Meiner Abteilung und mir bietet die IBA eine einmalige Chance, Baupolitik in Stadt und Region aktiv mitzugestalten. Eine Premiere ist sie für mich aber übrigens nur bedingt. Als Amtsleiterin für Stadtentwicklung in Halle wirkte ich an der dortigen IBA „Stadtumbau“ aktiv mit. Die war auch spannend – Halle war und ist ja wegen der engen Beziehungen zum Bauhaus Dessau ein besonderer Ort. Also: Für mich ist das jetzt das zweite Mal.

Das Thema ist dieses Mal ein ganz anderes – und ein, gemessen an den bisherigen Bauausstellungen, wirklich sehr spezielles: „Räume der Mobilität“.

Wir wollten von Beginn an eine regionale IBA gestalten. Dabei wurde schnell klar, dass sich die großen Themen in der Stadtentwicklung heute auf mehreren Maßstabsebenen zugleich abspielen. Es geht immer um Haus, Quartier, Stadt und Region gleichermaßen. Gerade Metathemen wie Klimawandel oder die Bodenfrage, aber eben auch Mobilität tragen sich auf größerer Ebene aus. Natürlich hätten wir auch eine klassische Wohnungsbau-IBA in München konzipieren können. Aber der reine Fokus aufs Baugebiet liefert heute eben keine befriedigenden Lösungen mehr. Mobilität hingegen bietet einen sehr großen Hebel. Baulandmobilisierung, Bodenpreise, das ressourcenschonende Bauen – alles hängt mit der Mobilität in der Region zusammen. Damit sind wir zugleich auch bei vielen weiteren Themen – Infrastruktur, Logistik, wirtschaftliche Zusammenhänge, auch Naherholung und Tourismus.

Die IBA, so wie sie jetzt konzipiert ist, stellt nicht zuletzt durch die vielen Stakeholder ein riesengroßes Projekt dar.

Das stimmt. Es ist nötig, möglichst viele Akteure zu beteiligen, denn die Wechselwirkungen, die wir uns anschauen, ziehen sich vom einzelnen städtischen Wohnblock zur Region – und umgekehrt. Was uns hier hilft, ist, dass wir schon in meinem ersten Amtsjahr die Europäische Metropolregion München gegründet hatten, die EMM. Sie hat bis heute viel geleistet im Themenfeld Mobilität, Kultur, Tourismus, Wohnen und urbane Wirtschaft.

Und die EMM ist ein Treiber hinter dem Thema „Räume der Mobilität“?

Auf jeden Fall. Wir als Stadt München waren in der EMM immer für die Säule Mobilität zuständig. Auch bei der inzwischen etablierten Regionalen Wohnungsbaukonferenz merken wir, dass der Schlüssel zu erfolgreicher Quartiersentwicklung immer die Mobilität ist. So wurde im Dialog mit unseren Verbündeten, den Land- und Stadträten, schnell klar, dass es gerade in einer prosperierenden Region wie der unseren nicht primär ums Bauen gehen kann. Auch andere IBAs weiten ja ihren Fokus. Die IBA Hamburg etwa schaute mit dem Sprung über die Elbe auf große Infrastrukturprojekte. Und in Stuttgart ging es viel um das Thema „Produktion in der Stadt“.

Verstehe, ein breiterer Fokus lag also quasi in der Luft. Wie gehen Sie das Thema denn nun an?

Wir verstehen unter „Räume der Mobilität“ vor allem die Gestaltung von räumlichen Schnittstellen. Wie schaffen wir eine bessere Vernetzung? Und wie ermöglichen wir es den Menschen dabei, ihren ökologischen Fußabdruck zu minimieren? Eine Untersuchung der TU München hat gerade ergeben, dass eine Einwohnerin der Stadt nur den halben Fußabdruck einer Regionsbewohnerin hat. Hier brauchen wir eine Angleichung, und die bekommen wir nicht nur mit Schnellradwegen von Garching nach München hin. Wir müssen unsere gesamte Infrastruktur anders organisieren.

Ein Teilaspekt der Mobilität ist auch die Migration.

Und zwar einer, der bei uns sehr wichtig ist. Vergessen wir nicht, wir sind die Region, in der deutschlandweit die meisten Flüchtlinge ankamen und ankommen. Das muss man klug organisieren – auch im Bereich Mobilität.

Die IBA steht heute noch ganz am Anfang, konkrete Projekte gibt es bis dato kaum. Aber lassen Sie uns mal weit nach vorn blicken: Wann war die IBA rückblickend betrachtet ein Erfolg?

Hier reden natürlich nicht zuletzt unsere zwei Gründungsgeschäftsführer mit, Julianna Günther und Stefan Diemling, ebenso wie die neue Intendanz, die wir gerade suchen. Ein Erfolg ist die IBA dann, wenn es signifikant mehr Angebote vor der Haustür der Menschen gibt, wenn sie wahrnehmbar kürzere Wege haben und schlicht die Lebensqualität fühlbar gestiegen ist. Ich sehe hier einen Dreiklang aus Ökologie, Effizienz und Sicherheit. Wir werden hier auch auf Themen kommen, die wir jetzt noch gar nicht sehen. Es geht jedenfalls nicht nur um Münchens zweite S-Bahn-Stammstrecke oder die Nordanbindung Richtung Flughafen. Eine Megathema ist für mich auch das Home Office und die Idee dezentraler Co-Working-Spaces. Wenn die im Sinne von Mobility Hubs auch jenseits der Innenstadt geplant werden, ermöglicht das ein anderes Arbeiten und eine andere Mobilität. Kurze Wege nicht nur im Zentrum.

Welche Rolle spielt der öffentliche Raum?

Eine ganz zentrale. Es geht um die Räume dazwischen und die Frage, welche Qualität die haben müssen. Ich fahre viel S-Bahn auch um München herum. Und ich muss sagen, da ist sehr vieles hässlich, schlecht beleuchtet, viele Stationen haben keinen Fahrstuhl. Kein Wunder, dass viele Menschen immer noch lieber Auto fahren.

Mit diesem Statement sind wir bei einer Frage, die viele Menschen umtreibt: Hat diese Infrastruktur-IBA auch eine architektonische Komponente? Gibt es auch etwas Schönes zu sehen?

Ja, wenn man Architektur etwas weiter denkt. Die IBA sitzt ja im Haus der Bayerischen Architektenkammer, schon das zeigt, dass die Architektur nicht zu kurz kommen wird. Aber natürlich steht hier nicht das einzelne, womöglich ikonische Haus in der Innenstadt im Zentrum. Es geht eben um Räume dazwischen. Aber sicher wird es auch tolle Hochbauten zu bestaunen geben, ebenso wie Infrastrukturgebäude, spannende Projekte im Bereich Ingenieurbau, Brücken. Auch die angesprochenen Co-Working-Spaces sind ja Architekturen. Und wir nehmen die Möglichkeiten in den Fokus, Gebäude, die es bereits gibt, umzugestalten und umzunutzen. Denn viele Gebäude werden heute ja deshalb nicht nachgenutzt, weil sie schlecht angebunden sind. Das heißt, mit neuen Mobilitätsangeboten hebt diese IBA ein immenses bauliches Potenzial. Und als Architektin hoffe ich natürlich auch persönlich auf ein paar bauliche Highlights.

Welche Rolle spielt das Münchener New-European-Bauhaus-Projekt, die Weiterentwicklung der Siedlung Neuperlach?

Auf jeden Fall kann man von Neuperlach viel lernen. Schließlich denken wir hier einen bestehenden Raum komplett neu. Diesen Ansatz, diese Haltung möchte ich in der IBA insgesamt realisieren. Wir wollen sozusagen den Gedanken des Katasters weiter fassen. Es geht nicht nur um die Beschaffenheit von Fenstern, sondern um einen Kataster möglicher Nutzungen. Leerstehende Gebäude stellen eben Potenziale dar. Aber da scheitert heute vieles an der Erschließung und der mangelnden Qualität des öffentlichen Raums drumherum.

Ein Vorzeigeprojekt scheint mir das Bergson zu sein, das Industrieareal im Westen Münchens, das der Architekt Markus Stenger gerade zu einem Veranstaltungszentrum umbaut.

Ja, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man eine ehemalige Industriehalle gut umnutzen kann. Der Eigentümer hatte sich sofort in das Objekt verliebt und gesehen, dass man da etwas draus machen kann. Aber wichtig für unsere Ge-
nehmigung war hier natürlich, dass das an einer S-Bahn lag und damit bereits gut erschlossen war.

Elisabeth Merk, Foto: AMELIE NIEDERBUCHNER

„Es geht um die Räume dazwischen und die Frage, welche Qualität die haben müssen.“

Elisabeth Merk

Lassen Sie uns nochmal grundsätzlich werden. Mit dem Fokus auf Infrastrukturen denken Sie das Modell IBA ein Stück weit neu, oder?

Das sehe ich so. Eine IBA muss doch immer auch wie ein Trüffelschwein funktionieren und Potenziale erkennen, die zum Beispiel in der Region verborgen sind. Es geht auch darum, bei den aktuellen Wünschen und Sehnsüchten der Menschen anzusetzen. Nehmen wir das Thema Freizeitverkehr. Hier ist der direkte Zugang zu einer größeren Region immens wichtig. Es geht um neue Chancen für unser Freizeitverhalten. Der Zukunftsforscher Matthias Horx sieht einen Trend zur Urbanität auf dem Land. Das klingt nett und richtig. Nur: Welche Infrastruktur braucht es dafür? Und wie lassen sich sinnvolle Cluster bilden?

Und was bedeutet das genau?

Wir müssen stärker in Schwerpunkten denken. Es kann nicht jede kleine Kommune ein eigenes Ärztezentrum vorhalten. Aber innovative Städte wie beispielsweise Augsburg, Ingolstadt, Freising oder Erding denken inzwischen in Clusterstrukturen.

Gerade Erding stellte auf der letzten Wohnungsbaukonferenz einen spannenden Umnutzungs-Case vor.

Genau, den alten Fliegerhorst. Derlei Kasernenflächen können sehr gut umgenutzt werden. Insgesamt geht es um Quartiersentwicklungen, die bestehende Strukturen neu denken und diese damit wirklich innovativ nutzen. Auch in Landsberg am Lech tut sich viel Positives, nicht zuletzt durch die Quartiersentwicklung von ehret+klein am Papierbach.

Wir sprachen schon darüber, diese IBA ist ein Projekt, das vom Mitmachen vieler unterschiedlicher Akteure lebt. Was erwarten Sie sich im speziellen von Projektentwicklern als Partnern?

Offenheit und die Bereitschaft, sich mit eigenen Projekten aktiv einzubringen. Mein Appell hierzu: Kommen Sie auf uns zu, diskutieren Sie mit uns mögliche spannende Projekte. Aber seien Sie dann auch wirklich dialogfähig und bereit, in der Projektplanung vielleicht mal die ein oder andere Extrameile zu gehen. Denn die IBA ist ja kein eigenes Programm zur Entwicklung großer Projekte. Wir werden die Investitionen von Partnern brauchen.

Ihre Partner werden sich bei Planungsvorgaben Mut wünschen, und die Bereitschaft, gerade in der Bürokratie Erleichterungen zu schaffen.

Sie können davon ausgehen, dass wir hier wirklich alles zweimal umdrehen. Die IBA kann in diesem Sinne auch ein Katalysator sein und vielleicht auch in der Verwaltung zu mehr Begeisterung führen, zu einer neuen Kultur des Experiments. Das erleichtert dann auch künftig die Planungsprozesse. Die IBA ist in dem Sinne keine Weltmeisterschaft für neues Bauen, aber ein Motor. Warum gab es denn in Bayern bisher noch keine Bauausstellung? Vielleicht war der Leidensdruck nicht hoch genug.

Und das ist er jetzt?

Ich merke, dass es eine jüngere Generation an Entscheidern gibt, auch an Bürgermeistern oder Landräten, die erkannt haben, dass wir mehr Veränderung und Mut brauchen als bisher. Die wollen etwas umsetzen. Mein Chef, Münchens OB Reiter, übrigens auch. Er fragt mich: Was wird denn konkret umgesetzt werden? Die Bürgermeister wollen Ergebnisse, sehen aber auch, dass der fachliche Blick von außen, den eine IBA liefert, zu einer anderen Reflexionsebene führt. So kommt die Planung schneller auf die Überholspur.

Klingt optimistisch. Kommen wir abschließend nochmal zu München. Von einer IBA erhofft man sich ja immer auch einen Schub in Sachen Identität von Städten. Wie würden Sie die Veränderungen im Selbstverständnis Münchens beschreiben, die Sie sich erhoffen?

München hat natürlich ein recht starkes Bild von sich selbst. Aber dieses kann und muss sich erweitern. Bisher sind wir einerseits in vielen Städterankings weit vorn, gelten aber auch als Stauhauptstadt. Und unsere hohen Bodenpreise und der Mangel an bezahlbarem Wohnen sind auch Teil unserer Identität, ob wir wollen oder nicht. Ich möchte insofern München schon auch neu branden. Es wäre doch toll, wenn wir künftig als Experten für innovative Mobilität als Teil einer nachhaltigen Stadtentwicklung gesehen würden. Wie sehen zeitgemäße Nahmobilitätskonzepte aus? Wo entstehen tolle öffentliche Räume im Bereich der Bahnhöfe? Da sollen die Menschen künftig nach München schauen.

München baut ja auch gerade einen neuen Bahnhof.

Richtig. Die Entwicklung unseres neuen Hauptbahnhofs spielt hier mit rein. Aber: Bisher ist zwar die Planung des Bahnhofsgebäudes selbst festgezurrt, wie jedoch der öffentliche Raum drumherum aussieht, da gibt es noch wenig. Ich erwarte mir auch hier spannende Ansätze – und die IBA treibt diese.

Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk ist eine deutsche Architektin und Stadtplanerin. Seit 2007 verantwortet sie als Stadtbaurätin die architektonische Weiterentwicklung der Landeshauptstadt München. Daneben ist sie unter anderem Beisitzerin im Bau- und Verkehrsausschuss des Deutschen Städtetages sowie Mitglied im UNESCO Netzwerk Conservation of Modern Architecture and Integrated Territorial Urban Conservation.

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