Kleinstadt. Allein das Wort klingt nach Provinz, nach Stillstand, nach ‚‚Da ist doch nix los”. Aber was, wenn genau das der Denkfehler ist? Während Metropolen sich im Kreis drehen – zwischen Gentrifizierung, Verkehrsinfarkt und digitaler Dauerüberforderung – passiert in Kleinstädten etwas Unterschätztes: echte Veränderung. Nicht laut, nicht flashy, aber substanziell. Hier wird nicht jede Woche ein neues Quartier ‚‚gelauncht”, aber hier wird noch gefragt, ob man sich kennt. Und das ist revolutionärer, als es klingt. Denn was ist eine Stadt ohne Beziehung? Ohne Resonanz? Der Soziologe Hartmut Rosa nennt das ‚‚Weltbeziehung”. In der Kleinstadt ist sie Alltag. Der Bürgermeister ist kein LinkedIn-Avatar, sondern steht beim Bäcker in der Schlange. Die Stadtplanung passiert nicht im Hochglanz-PDF, sondern beim Elternabend. Unprofessionell? Vielleicht. Aber auch: nahbar, verhandelbar, menschlich.
Und während in Großstädten Quartiere gebaut werden, um Gemeinschaft zu simulieren, ist sie in Kleinstädten längst Realität. Was dort als Innovation verkauft wird – Durchmischung, Teilhabe, kurze Wege – ist hier einfach Alltag. Nicht perfekt, aber echt. Natürlich gibt es Leerstand, Strukturwandel, Wegzug. Aber vielleicht ist genau das die Einladung, neu zu denken. Kleinstädte sind keine Problemzonen – sie sind Möglichkeitsräume. Hier kann man noch gestalten, ohne dass gleich ein Investor mit PowerPoint und Profitmarge um die Ecke biegt.
Und ja, Kleinstädte nerven auch. Sie sind langsam, manchmal engstirnig, oft zu leise. Aber vielleicht ist das gerade ihre Stärke: Sie schreien nicht nach Aufmerksamkeit – sie fordern Haltung. Wer hier etwas verändern will, muss nicht nur reden, sondern machen. Und dranbleiben. Vielleicht ist die Kleinstadt nicht das Gegenteil der Großstadt, sondern ihr Korrektiv. Ein Ort, an dem wir lernen, dass Fortschritt nicht immer Geschwindigkeit bedeutet. Sondern Tiefe. Nähe. Verantwortung.
Jürgen Notz ist Leiter von e+k upcycle, dem Sustainability Think Tank bei ehret+klein.