Die Karl-Marx-Allee in Berlin, die 7th Avenue in New York, der Boulevard St. Germain in Paris oder der Picadilly Circus in London: Ampeln, Autos, Stau, Asphalt, Beton – es dauert nur ein paar Sekunden, bis sich all das verflüchtigt. Plötzlich sind die Straßen und Plätze mit Grün überwuchert. Fußgänger und Radfahrer sind unterwegs. Hier schlängelt sich ein Bach durch die Straße. Dort sitzen Leute unter schattenspendenden Bäumen. Kein Auto stört die Szenerie.
Das, was der Hamburger Künstler Jan Kamensky in seinem digitalen Projekt „Visual Utopias“ in versiegelten und autozentrierten Metropolen vormacht, ist die Transformation von grau zu grün – und damit zu einer klimaangepassten Stadt. Doch was bei ihm so einfach, quasi per Mausklick gelingt, ist in Wirklichkeit eine große Herausforderung. Für Städte und Kommunen überall auf der Welt. Und es ist eine, die es anzunehmen gilt. Nicht irgendwann, sondern jetzt.
Denn die Auswirkungen der Klimakrise wie etwa Hitzewellen, Trockenperioden, Starkregenereignisse und damit einhergehende Überschwemmungen werden gravierender. Ihre Häufigkeit nimmt zu. Besonders urbane Räume sind durch ihre dichte Bebauung, den hohen Grad an Bodenversiegelung und den niedrigeren Grünanteil gefährdet. Durch zunehmende Extremwetterereignisse besteht dabei nicht nur ein Risiko für die Gesundheit der Stadtbewohner.
Das bedeutet: Der Druck zur Klimaanpassung urbaner Räume steigt. Wie aber können Architektinnen, Stadtplaner und Landschaftsarchitektinnen dabei helfen, die Widerstandsfähigkeit von Städten zu erhöhen? Experten sind sich einig: Es bedarf planerischer Ansätze und städtebaulicher Konzepte, die heute schon stadtklimatische Bedingungen von morgen mitdenken – und die zugleich flexibel genug für nachträgliche Adaptionen sind. Für Stephan Pauleit, Lehrstuhlinhaber für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung und Co-Leiter des Zentrums Stadtnatur und Klimaanpassung (ZSK) an der TU München, steht und fällt der Stadtumbau mit dem Grünanteil im urbanen Raum. „Unsere Forschungsergebnisse belegen, wie grüne Infrastruktur die Gefahren von Hitzewellen und Starkregenereignissen erfolgreich verringert und gleichzeitig die Lebensqualität in der Stadt für Mensch, Pflanze und Tier stärkt“, sagt der Forscher.
Stadtimpressionen aus Paris, London und New York, die zeigen: Es gibt noch einiges zu tun in unseren Metropolen, um diese grüner zu machen.
Was Städte im Einzelnen umsetzen, hängt von ihren individuellen Herausforderungen ab. Aber auch vom politischen Willen, denn der notwendige Mix aus Klimaschutz und Klimaanpassung ist teuer und setzt bei Politik und Gesellschaft voraus, dass Veränderungen gewollt sind. Die Stadt Wien etwa entsiegelt, begrünt und kühlt aktuell unter dem Motto „Raus aus dem Asphalt“ ihre Straßen und Plätze. Bei jeder Neu- oder Umgestaltung von öffentlichem Raum sollen Planende künftig mit mehr Bäumen, mehr Wasserflächen und helleren Bodenbelägen Maßnahmen gegen Hitze treffen. Mithilfe des Superblock-Konzepts will die Stadt Hitzeinseln reduzieren, die Bedingungen für Fußgängerinnen und Radfahrer verbessern und verkehrsberuhigte Bereiche schaffen.
Auf Basis des Klimaschutzplans, der 2007 erstmals verabschiedet wurde und seither regelmäßig aktualisiert wird, baut die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo die französische Hauptstadt um:
Von jedem Ort der Stadt aus sollen die Einwohner innerhalb von 15 Minuten alles erreichen können, was sie im Alltag brauchen. Bei der Umsetzung des Biodiversitätsplans setzt die Stadt mit einem partizipativen Ansatz auch auf die Mithilfe der Pariserinnen und Pariser, die dazu ermutigt werden, selbst für mehr Grün zu sorgen. Mit der Richtlinie „Dresden baut grün“ wiederum ist es in der sächsischen Landeshauptstadt seit 2020 Pflicht, bei allen Hochbauvorhaben Fassaden und Dächer zu begrünen, egal, ob es sich um Neubau, Umbau oder bauliche Erweiterungen handelt. Außerdem müssen Planende bei der Gestaltung von Freiflächen die Belange einer naturnahen Regenwasserbewirtschaftung berücksichtigen. Und auch Hamburg fördert seit diesem Jahr mit seiner Gründachstrategie Gründächer und grüne Fassaden. All diesen Städten ist gemein, dass sie auf Begrünung, entsiegelte Flächen, Speichermöglichkeiten für Wasser und eine klimafreundliche Mobilität setzen, die dem Flächenfresser Auto mehr Raum entzieht und mehr Platz für Grün schafft. Ein Mehr an Stadtgrün setzt dabei auch ein Mehr an Stadtblau voraus. „Die klimaresiliente Stadt ist ohne grün-blaue Infrastruktur nicht möglich“, sagt der Münchner Professor Stephan Pauleit.
Im Gegensatz zu technischen Lösungen ist die grün-blaue Infrastruktur, der ein Netzwerk aus natürlichen und naturnahen Grün- und Wasserflächen zugrunde liegt, dabei besonders wartungsarm, robust und multifunktional. Multifunktional in dem Sinne, dass sie zugleich dem Management von Regenwasser, dem Hitzeschutz, der Verbesserung der Luftqualität und des Mikroklimas, der Förderung der Biodiversität und der Aufenthaltsqualität in der Stadt dient. Auch international planende Büros wie Ramboll bestätigen, dass eine grün-blaue Infrastruktur aufzubauen und zu pflegen oft weniger koste, als die Schäden und Folgen von Natur- und Wetterkatastrophen zu beseitigen. Oder anders gesagt:
Denkt man die grün-blaue Infrastruktur im urbanen Raum systemisch, kommt man schnell mit dem Konzept der Schwammstadt in Berührung, bei dem Flächen entwickelt werden, die Wassermassen wie ein Schwamm aufnehmen, speichern und verzögert wieder abgeben.
Das Potenzial für eine ökologische Umgestaltung gibt es in den Städten von heute. Hier Eindrücke aus Hamburg, Wien, Berlin und New York
Oberflächen wie etwa Dächer, Fassaden oder Straßenzüge werden dabei begrünt, Grünflächen wie etwa Parks angelegt, Bäume gepflanzt, offene Wasserflächen gestaltet, Grünzüge etabliert und wasserdurchlässige Bodenbeläge verlegt. Außerdem werden natürliche Überflutungsflächen geschaffen, die dem Wasser mehr Raum geben.
Ganz neu ist das Konzept nicht. Der chinesische Landschaftsarchitekt Kongjian Yu, der als der „Erfinder“ der Schwammstadt gilt, hat mit seinem in Peking ansässigen Büro Turenscape zahlreiche Schwammstadt-Projekte realisiert. Allem voran in China, wie etwa den Sanya Dong’an Wetland Park in Sanya auf Insel Hainan (2016). Yu transformierte das etwa 67 Hektar große verseuchte und vermüllte Gelände in einen multifunktionalen Grünraum, schuf natürliche Dämmsysteme, die vor Überschwemmungen schützen, dem Fluss aber gleichzeitig mehr Raum geben, legte Feuchtgebiete, Reisfelder, Parks und Teiche mitten in der Stadt an – sowie Fußgänger- und Fahrradwege, die den Park durchziehen.
Auch Heiko Sieker, Experte im Bereich Regenwassermanagement von der Ingenieurgesellschaft Prof. Dr. Sieker, sieht in dem Konzept der Schwammstadt eine Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels. Für den Honorarprofessor an der TU Berlin können Maßnahmen zur Klimaanpassung in Großstädten etwa eine Kombination aus Rückhalt, Entsiegelung, Versickerung und Verdunstung sein. Ein wichtiger Baustein beim Konzept der Schwammstadt: die Baumrigole, die eine bessere Wasserversorgung von Stadtbäumen sicherstellt. Sie besteht aus einer Versickerungsrigole, einer Art Zwischenspeicher, und einem unterirdisch angelegten Reservoir zur Wasserspeicherung. Ihr Einsatz lohnt sich besonders in stark urbanisierten Gebieten, die von hoher Versiegelung und Bebauung betroffen sind. Denn Baumrigolen verbessern das Mikroklima: Durch die bessere Transpiration des Baumes kommt es zu einer höheren Verdunstungsleistung, was dazu beiträgt, Hitzeinseln zu vermeiden.
Wichtig bei der Planung und Umsetzung der grün-blauen Infrastruktur ist die sektorenübergreifende Zusammenarbeit. Silos zwischen Stadtentwässerung, Grünflächenbewirtschaftung oder Verkehr müssen aufgebrochen, neue Formen der Zusammenarbeit etabliert und die Stadtbevölkerung mit ins Boot geholt werden. Zudem macht Klimaanpassung nicht an der Stadtgrenze halt, sodass Städte, Kommunen und Regionen gemeinsame Maßnahmen koordinieren müssen. Klimaresilienter Stadtumbau geht nicht von heute auf morgen. Städtisches Leben ist komplex und die Stadt als System verändert sich langsam.
Die Stadt arbeitet bereits seit 13 Jahren an ihrer Transformation zur Schwammstadt. Ein Starkregenereignis am 2. Juli 2011, bei dem mancherorts mehr als 50 Millimeter Regenwasser pro Quadratmeter auf die Stadt niederprasselten und sie überfluteten, war der Ausgangspunkt für das Schwammstadt-Konzept der dänischen Hauptstadt. Mithilfe des „Cloud Burst Management Plans“, der zahlreiche Einzelprojekte zur Klimaresilienz beinhaltet, soll Kopenhagen zukünftig bei Starkregenereignissen und Sturmfluten besser vor Überschwemmungen geschützt werden.
Eines der Schwammstadt-Pilotprojekte war die Transformation des Tåsinge Plads im Klimaquartier Østerbro von einem komplett versiegelten Stück Stadt zu einem multicodierten Grünraum. Der etwa zweitausend Quadratmeter große Platz sammelt und speichert das Regenwasser der umliegenden Dächer und Plätze, sodass es nicht mehr in die Kanalisation fließt und die Stadt auch sintflutartigen Regenfällen standhalten kann. Die Kopenhagener Landschaftsarchitekten von Ghb Landskabsarkitekter A/S haben Raum für ein tiefergelegtes und bepflanztes Versickerungsbecken geschaffen, das den Regenabfluss sammelt. In dem abgesenkten Bereich wird das Wasser durch Pflanzen gefiltert und kann im Boden versickern. Der Tåsinge Plads stärkt damit die Infrastruktur der Stadt und dient gleichzeitig der Nachbarschaft als Park.
Diese war in einem partizipativen Prozess intensiv an der Transformation des St.-Kjelds-Viertels in Kopenhagens Klimaquartier Østerbro beteiligt. Heute gilt St. Kjelds mit dem Tåsinge Plads als das erste klimaresiliente Viertel Kopenhagens. „Mit diesem Projekt ist es gelungen, die Menschen in etwas einzubeziehen, das der Öffentlichkeit zugutekommt und das gleichzeitig dabei hilft, große Regenmengen zu bewältigen“, sagt Stefan Werner, der damals für die Stadt Kopenhagen als Projektleiter in der Abteilung für Klimaanpassung tätig war. Klimaanpassungsprozesse als Kombination von Bottom-Up und Top-Down – etwa im Hinblick auf technische Lösungen – zu verstehen, sei eine der wichtigen Lehren aus diesem Projekt, so der Experte für urbane Wasserresilienz.
Vielleicht ist genau das der Schlüssel zu einem nachhaltigen Erfolg von Strategien zur Klimaanpassung: Akzeptanz, Engagement und Mut für Veränderung von unten, gepaart mit der Expertise, klugen Lösungen, Mitteln und Hebeln von oben. Und wer sagt eigentlich, dass unsere Städte durch die Klimaanpassung nicht zugleich grüner, blauer, menschenfreundlicher, biodiverser, sprich lebenswerter werden können? Naturbasierte Lösungen können das bewirken.
Die Grundidee zur Schwammstadt hat Kongjian Yu übrigens aus alten Anbautechniken chinesischer Bauern entwickelt: Nutze das Wasser, lebe in Harmonie mit ihm und verdränge es nicht. Mehr Lowtech geht nicht.
Anja Koller ist Redakteurin Nachhaltiges Planen und Bauen bei der Architektenplattform „Competitionline“. Zuvor war die studierte Geisteswissenschaftlerin leitende Redakteurin der Zeitschrift für Landschaftsarchitektur „Topos“.