Es eskaliert eh

Über die kleinen und großen Aufreger in unserem Straßenverkehr.

Jürgen Notz

Neulich in München zum Beispiel, nachdem eine Straße in Giesing für den Autoverkehr gesperrt und mit Rollrasen und Hochbeeten begrünt worden war. In Leipzig entzweiten sich die Bürger wegen eines grün markierten Fahrradweges vor dem Hauptbahnhof, für den zwei Autospuren wegfielen. Der ehemalige Verkehrsminister Andreas Scheuer riet in seiner Amtszeit den Kommunen, sich juristisch gegen Fahrverbote zu wehren.

Wir lieben ja unsere Autos. Sind wir doch alle mit dem Wertversprechen der Automobilindustrie großgeworden: individuelle Mobilität für jedermann und jedefrau, Status für die, die es sich leisten können, vor allem aber ein individuelles und uneingeschränktes Freiheitsgefühl. Wer maßt sich an, uns diese Freiheit zu beschneiden? Und überhaupt: Wer definiert eigentlich, wie die Zukunft aussehen soll? Wer will mir verbieten, so zu leben wie ich lebe? Es wird also ziemlich schnell ziemlich emotional.

Nun können wir nicht leugnen, dass die Innenstädte verstopfen, wir tagtäglich wertvolle Lebenszeit im Stau verbringen und die Abgase und der Lärm unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit beeinträchtigen. Von der Klimakrise ganz zu schweigen. Trotzdem ist der Status quo noch ausreichend bequem. Die Angst vor Veränderung erscheint dagegen überwältigend. Was nun?

Technisch-organisatorische Lösungen haben wir schnell parat. Wir brauchen autofreie Zonen und Tempolimits in den Städten und im Austausch dafür einen unschlagbar günstigen, wenn nicht sogar kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, flexible und weiträumig verfügbare Sharing-Konzepte, eine schlüssige Verbindung von Stadt und Land. Schlicht: Die Mobilitätsangebote müssen so gut sein, dass Autofahren unattraktiv wird.

Warum klappt es dann nicht? Wir müssen die Menschen mit ihren Emotionen wieder ins Zentrum rücken. Wir müssen mit der Vorstellung begeistern, wieder Weltmeister werden zu können, anstatt den Einzelnen zu ermahnen, dass Veränderung notwendig ist. Und wir müssen den Dissens aushalten können: „agree to disagree“. Gekracht hat es auch in Oslo und Barcelona, als Visionen zur Mobilität der Zukunft umgesetzt wurden. Zeichnen wir doch vielfältigste positive Szenarien eines möglichen Morgen und verlieren nicht unseren Humor. Es eskaliert eh?!

Jürgen Notz ist Geschäftsführer von e+k upcycle, dem Think Tank für Nachhaltigkeit bei ehret+klein.

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