Der digitale Zwilling und die grüne Innenstadt

Wie planen wir grünere Zen­tren? Dieser Fach­beitrag erläutert, wie die Digi­tali­sierung den Ent­wick­lern dabei helfen kann. Stadt­planung wird trans­parenter – und inte­grativer.

Matthias Fiss

Die Wünsche an die Projektentwicklung im Bauwesen häufen sich in den Medien. Selbst in Talkshows wird viel über erneuerbare Energien, Wärmepumpen, horrende Kosten und die 40 Prozent gesprochen, die die Bauindustrie zu der gesamten CO2-Emission beiträgt. Es wird aber auch gefragt, wie unsere Branche das Leben in den Städten grüner gestalten kann. Ein zentraler Bestandteil der neuen grünen Projektentwicklung: der digitale Zwilling.

Auf dem letzten Jahrestag der ZIA in Berlin trugen Größen aus Politik und (Bau-)Wirtschaft zur Diskussion bei, mit dem Fazit: Einfach machen – denn alle wesentlichen digitalen Methoden sind heute schon verfügbar. Der Vorstand der Berlin Hyp empfahl, die Planungsmodelle mit maximalen Daten auszustatten, um zu einer „grünen Finanzierung“ zu gelangen (Stichwort „Green Bonds“). Das ist auch nötig, denn nur diese ist für die Bankenbranche in Kürze aufgrund der eigenen ESG-Auflagen überhaupt noch möglich. „Braune Finanzierungen“ nennen sich im Unterschied dazu Projekte, die nicht ESG-konform geplant sind.

Innovative Start-ups entwickeln heute Lösungen fürs digitale Machen seitens der Investoren, Projektentwickler und Planer. Normungsausschüsse denken über die Frage nach, ob der Gebäudetyp E die Lösung ist, die keine Klagewelle der Nutzer nach sich zieht. Und wir als Entwickler können viele Aufgaben schon heute angehen. Ich sehe drei Dinge, mit denen wir den Städten schon jetzt konkret helfen können.

Festplatten-Foto von Alun Crockford
Der Fotograf Alun Crockford bringt die Interaktion zwischen Digitalwelt und Stadt ästhetisch auf den Punkt. Seine Fotoserie lässt ausrangierte Festplatten wirken wie Stadtpläne.

1. Wir können und sollten konkret über die Umnutzung des Bestandes gerade in den Innenstädten ohne Abriss nachdenken.

2. Wir können und sollten die grüne Lunge ausbauen und wieder aktivieren, nicht zuletzt durch Entsiegelung.

3. Wir können und sollten die Erreichbarkeit und Mobilität in neuer Form genehmigungsfähig machen.

Noch sind nicht alle Fragen beantwortet. Was brauchen wir als Entwickler, damit unsere Planungen den vielen Anforderungen Rechnung tragen? Welche Simulationen mit welchen Ausgangspunkten auch im geplanten und tatsächlichen Verbrauch sollen wir annehmen, um Übergaben in mehr als 24 Monaten auf dem dann herrschenden Stand der Technik zu ermöglichen? Dennoch: Wir können schon ganz pragmatisch starten und den Bestand digitalisieren. Dies gelingt einerseits gut über Laserscanning, meist von versierten Vermessern, die sich ihrer wichtigeren Rolle zunehmend bewusst werden und die so entstandenen Punktwolken zum Planungsmodell entwickeln.

Die räumlichen Strukturen vor Ort werden durch die Daten ergänzt. Sie können dann Grundlage der Bilanz und der weiteren Planung sein. Zudem können Datenauswertungen aus der bestehenden Gebäudetechnik aus unterschiedlichsten Informationsquellen aufbereitet und ausgewertet werden. So können wir gezielt Optimierungsmöglichkeiten erkennen und Verbesserungen simulieren.

Der Planungsprozess in BIM lässt sich auf Basis des Vorgabenmodells standardisieren. Zugleich lässt sich das Erreichbare im digitalen Zwilling konkretisieren. Dies betrifft Geometrie und Termine, aber auch Kosten und Verbrauch. Ein Kollaborationsprozess zwischen Planern und Investor ermöglicht Transparenz, Kollisionserkennung und schnelle Entscheidungswege am BIM-Modell. Modulbau auch zur Nachverdichtung ermöglicht vor Ort eine schnelle Ergänzung unter reduzierter Belastung des Stadtteils oder Straßenzuges. Vorfertigungen der im gleichen Modell schon integrierten Anteile von Wohnen/Büro oder Hotel sind möglich. Der optische Kontrast zwischen Bestand und hocheffizientem, nachhaltig modernem Modul in Holz lässt sich so transparent und verträglich gestalten.

Varianten in Ergänzung des Bestandes lassen sich bei der modularen Planung bereits in einer sehr frühen Leistungsphase darstellen. Sowohl die Bauämter als auch die am Markt befindlichen Modulhersteller können wir frühzeitig einbinden. So gelangen wir zu einer schnellen Umsetzbarkeit, baurechtlich wie real.

Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten auch bei der Erschließung, beispielsweise im Wohnungsbau. In unserem Lowtech-Ansatz, der auch in unseren Planungsstandards beschrieben ist, ist zwar das Indoor-Treppenhaus in Sichtbeton gegen Wind und Wetter geschützt. Die Zugänge zu den Wohnungen dürfen aber auch in Laubengängen gedacht werden, die als Rankgitter für grüne Fassaden ausgestattet werden können. So entsteht eine grüne Lunge im Innenhof wie auch im Bereich der Zugänge zu den Wohnungen.

Im digitalen Zwilling können diese Planungen mit in die grüne Bilanz einfließen. Sie informieren in der Planungsphase und vor der Baugenehmigung jeden Beteiligten über die Nachhaltigkeit des Produkts. So lässt sich das Vertrauen der Banken ins Bauen „nach Modell“ wieder steigern.

Ein weiterer Aspekt grüner digitaler Planung: weniger Parkplätze, welche die Genehmigungsbehörden jedem Bewohner über den lokal geltenden Stellplatzschlüssel „verordnen“. Der Bewohner hat vielleicht schon längst selbst entschieden, dass dort, wo das Leben ist, kein Platz für Autos ist. Je besser das Miteinander auf Quartiersebene funktioniert, desto mehr Entsiegelung ist möglich. In Modellen für Grundstücksakquisitionen kann der digitale Zwilling den Stellplatzschlüssel und damit die Anzahl und Größe der Wohnungen beeinflussen, ohne dass sich das Gebäude oder die verhandelte Kubatur ändern muss.

Wenn wir auf Tiefgaragen gänzlich verzichten können, ersetzen „Kellerersatzräume“ auf den Etagen der Wohnungen den Keller. So reduziert sich der Footprint gemäß der Devise „less is more“ signifikant. Vergessen wir nicht: Keller und Tiefgarage haben den größten negativen Impact (Abriss, Beton, Versiegelung der Hofflächen etc.).

Die sanfte Überzeugung ohne Zeitverlust macht auch hier der digitale Zwilling möglich. Er passt sich im Wohnungsmix an. Mit ihm lässt sich flexibel das für den konkreten Standort Optimale darstellen – im Idealfall ohne Keller.

Während diese Themen sich nach und nach und Projekt für Projekt klären, haben wir als Projektentwickler die riesige Chance, unsere Anforderungen aktuell aufzustellen. Wir können so Prozesse neu denken, verschlanken, priorisieren und stärker fokussieren. Ziel ist es, Arbeitspakete konzentriert mit aller möglichen und erforderlichen Expertise einmal ganz aktuell zu denken.

Dabei spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle bezüglich der Kosten eines Projekts. Er hat direkte Auswirkungen auf die erforderlichen Miet- oder Kaufpreise. An jeder Stelle des Prozesses, vom Ankauf bis zur Schlüsselübergabe, kommt es auf das bestmögliche Zeitmanagement an, da jeder Tag länger am Ende die Kosten für den Bewohner erhöht.

In Vorgabenmodellen mit Planungsstandards ist ein schnelles Briefing der Planer zur Planung im digitalen Zwilling möglich. So stellen die Planer einen zeitlichen Optimierungseffekt fest, den sie an uns weitergeben können. Büros, die sich der neuesten Planungsmethoden annehmen, ahnen die Synergien, die sie haben werden, allein schon wegen der sichergestellten Kollaboration und der freigegebenen Planungsstandards. Ihre Planungsphasen können sich verkürzen. Sie haben die Möglichkeit, ohne erneute Planungsrunden auf oben genannte Aspekte zu reagieren, die Zeit der Genehmigung seitens der Behörden zu nutzen und die Umsetzung kurz nach Baugenehmigung wirtschaftlich darzustellen.

Festplatten-Foto von Alun Crockford

Matthias Fiss hat Architektur in Aachen studiert. Nach 14 Jahren im Architekturbüro ist er seit 2015 beim Projektentwickler und seit 2022 bei ehret+klein als Teamleiter Digitalisierung.

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