Ich bin 2019 nach Starnberg gekommen und war sehr beeindruckt davon, wie viele Menschen hier und in der unmittelbaren Region Kultur gestalten und leben. Das geschieht mit großem Einsatz und auf einem Niveau, das sich vor der Großstadt nicht verstecken muss.
Das Engagement ging und geht vor allem von einzelnen wunderbaren Menschen aus, mit jeweils eigenen Publikumskreisen. Dieses Nebeneinander habe ich mit sehr viel Freude verbunden und verwoben, wo es ging, um so das Museum zu einem offenen und zentralen Ort der Stadtkultur zu entwickeln, der es zuvor noch nicht war.
Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Das Museum erlebt gerade einen Imagewandel hin zu einem wirklich lebendigen Ort. Wir konnten neue Formate, Veranstaltungen und Ausstellungsreihen entwickeln, die ganz gezielt auf lokale und regionale Kollaboration und Vernetzung setzen.
Ein gutes Beispiel ist die Ausstellungsreihe „Schaukasten 4“. Sie findet statt in einem Möbelstück, einer Vitrine aus dem Jahr 1913. Sie ist die letzte Zeugin der Erstausstattung des Museums.
Da das historische Möbel sich nicht mehr recht in die aktuelle Gestaltung einpasst, haben wir es freigestellt und zum Ausstellungsraum erklärt. Ich habe ausgewählte Protagonistinnen der Starnberger Kulturszene gebeten ein Programm für den „Schaukasten 4“ zu kuratieren: jeden Monat neu, immer mit Bezug zur Region, stets Gegenwartskunst.
Der Untertitel der Reihe beschreibt es „Gegenwartskunst im Heimatmuseum“ und das ist nun wahrlich nicht selbstverständlich. Der „Schaukasten 4“ verknüpft all die wunderbaren, kulturell und künstlerisch tätigen Menschen der Region und öffnet ihnen das Museum als Ort. Für mich eine große Freude und für das Museum ein großer Erfolg mit schon 24 Ausstellungen inzwischen.
Ja, das ist sinnvoll und notwendig – schließlich sind Museen öffentliche Institutionen. Offenheit gegenüber der Gesellschaft ist eine unserer Kernaufgaben. Dabei geht es ganz klar um alle interessierten Menschen, auch jenseits der sogenannten Kulturszene. Nun stehen wir in Starnberg zudem vor der Herausforderung der nahen Metropole München. Starnberg ist historisch stark von der Nähe zu München geprägt. Das begann mit den bayerischen Fürsten und Königen, setzte sich mit den Sommerfrischlern fort und ist in einigen Bereichen noch immer so.
Viele kulturell interessierte Menschen aus Starnberg orientieren sich nach München, haben ein Abo der bayerischen Staatsoper, eine Mitgliedschaft im Freundeskreis des Volkstheaters oder eine Jahreskarte für die Städtische Galerie im Lenbachhaus. Das ist wunderbar, macht es aber dem Museum Starnberger See nicht immer leicht.
Ja, einerseits, andererseits erschließt es dem Museum das Publikum der Großstadt. So haben wir von der Nähe besonders im letzten Jahr stark profitiert, als wir in der Ausstellung „Oskar Maria Graf – Dichter und Antifaschist vom Starnberger See“ Tausende Münchner Gäste begrüßen konnten.
Die Nähe zu München, der wunderschöne See, die herrliche Natur und der beeindrucke Blick auf das Alpenpanorama sind natürlich Gründe am Starnberger See zu leben. Neben aller Naturschönheit und verkehrsgünstigen Lage ist hier noch viel mehr. Mir ist es wichtig, das gesellschaftliche Leben vor Ort zu stärken. Menschen einzubeziehen, die neu hier sind, ebenso wie jene, die seit Generationen hier leben.
Auf unser Publikum wirkt sich das tatsächlich gar nicht aus. Gesellschaftlich glaube ich, ist es bedeutsam über die sehr hohe Wertschätzung für privaten Raum den öffentlichen Raum nicht zu vergessen.
Tatsächlich ist die Stadt Starnberg historisch aus verschiedenen Hofstellen gewachsen und nicht um einen alten Marktplatz herum. Einen Siedlungsursprung hat die Stadt natürlich dennoch und der liegt genau beim heutigen Museum. Bei Ausgrabungen direkt neben dem heutigen Museumsneubau wurden Funde sichergestellt, die bis ins 7. Jahrhundert zurückgehen. Hier war einmal eine Kirche samt Hofstelle – ein Zentrum gesellschaftlicher Entwicklung.
Zunehmend ja. Das begann interessanterweise ganz besonders intensiv, als im Zuge der aktuellen finanziellen Krise der Stadt die Diskussion aufkam, ob es das Museum überhaupt noch braucht. Der Freundeskreis des Museums hat es geschafft, die Krise in einen Höhenflug zu verwandeln. Die Mitgliederzahlen haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt.
Es wächst ein Bewusstsein für das Museum und eine Verbundenheit untereinander über den Ort. Zugleich erhalten wir dringend nötige finanzielle Unterstützung in Form von Spenden. Das ist großartig.
Exponate aus dem „Schaukasten 4”. Hier die Arbeit der Künstlerin Lucy Reynolds.
Der ‚‚Starnberger Vorratsschrank” von Hans Panschar (der gerade den Kulturpreis des Landkreises Starnberg erhielt).
Die Arbeit ‚‚Sit-In” von Werner Mally.
Lea Grebes Arbeit ‚‚hidden shelters.
Grundsätzlich geht es um zwei Pfade, die wir anlegen und gehen: Der erste führt zu vorhandenen Themen, zu dem was schon da ist, zu Lokalem oder Regionalem. Das gilt es aufzuarbeiten und zu vermitteln, klassische Museumsarbeit. Der zweite Pfad führt nach außen. Da geht es darum, mit besonderen Projekten und Ausstellungen einen Blick über das Lokale und Regionale hinaus zu werfen, um aktuelle Fragestellungen und Diskurse als Impulse in die Stadt einzubringen.
Nun, im ersten Pfad ist unser ganz großes Vorhaben eine Ausstellung über König Ludwig II. Wir wollen die letzten Tage im Leben des Märchenkönigs nacherzählen. Ein weltbekannter Mythos und lokaler True-Crime-Fall in gewisser Weise.
Wir berichten was gesichert geschehen ist. Vermutungen oder gar Verschwörungstheorien sind nicht unser Metier. Im Gegenteil, besonders Museen sind im Kern dem Faktischen verpflichtet. Sie nutzen Objekte als Ausgangspunkt, nicht Thesen oder Beweisführungen. Eine bedeutsame Institution in einer Zeit, in der Fakten verteidigt werden müssen.
Aber genau das ist doch interessant. Es gibt wirklich viele Recherchen zu diesem Thema und diese ergeben ein recht klares Bild. Darüber hinaus werden wir mit einem letzten Rest an Unsi<cherheit leben müssen. Es ist ohnehin gut, wenn wir uns darin üben, scheinbar einfachen Lösungen zu misstrauen – besonders in dieser Zeit und dieser Welt.
… vielleicht auch. Vor allem aber eine wissenschaftliche und gesellschaftliche. In einer weiteren Ausstellung dieses Jahr werden wir eine Malerin vorstellen, Eva Roemer. Sie hinterließ wunderschöne Farbholzschnitte, die fast schon japanisch wirken. Roemer stammte aus der Familie des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy. Sie überlebte als Jüdin in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft die NS-Zeit in ihrem Haus in Kempfenhausen. Wie ihr das gelang, wissen wir noch nicht. Was wir herausfinden, wird neben den Kunstwerken in die Ausstellung einfließen.
Vielfalt ist wichtig. Ein Museum muss nah an die Menschen heran. Es muss Angebote machen, Bekanntes und Neues verbinden. Dabei sind wir bei Weitem nicht nur Bildungsinstitution, sondern auch Freizeitort und Reflektionsraum. Wir liefern die Möglichkeit der Identifikation und Diskussion und sind für manche auch Ort der Nostalgie. Das ist alles möglich, und jede dieser Nutzungen ist richtig.
Starnberg legt großen Wert auf Historisches. Viele denkmalgeschützte Objekte befinden sich in kommunalem Besitz. Es gibt geführte Spaziergänge und einen wunderbaren Audioguide durch die Stadt. Natürlich ist die Frage, wie sich historische Bauten mit konkreter Nutzung aktivieren und erhalten lassen, schwierig und auch in Starnberg eine Herausforderung.
Es wäre wunderbar, wenn es der Stadt und der Stadtgesellschaft gelänge, aus einer mitunter defensiven Bedrängnislage in ein aktives Gestalten zu kommen. Wir haben viel Potenzial, das wir aktuell noch nicht nutzen können. Starnberg hat so viel mehr zu bieten als den See.
Absolut. Ich trage schon seit Längerem die Idee einer Ausstellung zu den Häusern des Künstlers Rupprecht Geiger am Starnberger See mit mir herum. Geiger ist vor allem als Maler und Bildhauer bekannt, war aber per Ausbildung zunächst Architekt und hat einige interessante Gebäude rund um den See realisiert.
Vielleicht bräuchte es auch da mehr Selbstvertrauen. Wobei gewachsene Siedlungsstrukturen natürlich auch schützenswert sind – das Museum Starnberger See selbst wurde gegründet um ein Gebäude zu erhalten und zu schützen, dass seit spätestens 1520 in situ existiert – das historische Lochmannhaus. Es ist heute Teil des Museumsensembles.
Leider noch eine zu geringe. Die einzelnen Institutionen haben unterschiedliche Rhythmen. Und unsere Kapazitäten auch personell sind knapp. Aber hier kann und soll mehr passieren. Immerhin werden wir bei der kommenden Ausstellung über die Unterwasserwelt des Starnberger Sees mit einer ganzen Reihe von Kooperationseinrichtungen zusammenarbeiten – darunter das Institut für Fischerei der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt und die Deutsche Gesellschaft für Unterwasserarchäologie. Austausch ist immer bereichernd.
Ja, das Programm hieß „Eine Irrfahrt mit dem Delphin“. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie wir immer wieder neue Zugänge zum Museum schaffen. Auch Ungewöhnliches kann da passieren, schließlich saß ich in unserem Hauptexponat, einem Prunkboot aus dem 19. Jahrhundert, dass König Ludwig I. gehörte. In der Literatur, die ich vorgelesen habe, haben wir, wie im Programm, den Blick auf uns und den Blick nach Außen miteinander verbunden …
… sowie mit Melville und Homer zwischen lokalen Sagen und Märchen. Das sind die Momente, in denen ich meine Arbeit besonders liebe: die unmittelbare Verbindung mit dem Publikum, die experimentellen Projekte und neuen Wege. Ein anderes Beispiel dafür ist „Gartenküche und Museumsdinner“ ein Programm im letzten Jahr, bei dem wir mit Produkten aus unserem kleinen Museumsgarten für unsere Gäste gekocht haben. Ein wunderbarer Abend für die Besuchenden wie auch für uns. Wir sind auch ein Wohlfühlkraftwerk für die Stadt …
Bequem? Nun, ein wenig vielleicht, aber es ist auch einfach wunderschön hier – eine kleine heile Welt. Doch die Menschen haben ein Verantwortungsgefühl für ihre Region. Ich habe kürzlich im Museum öffentlich mit einem Wissenschaftler über den Klimawandel und die Folgen für den See gesprochen. Das Haus war voll. Das hat sehr viele bewegt.
Wir haben Glück, der See ist recht stabil. Er wird uns noch lange mit seinem glasklaren Wasser erfreuen, wenn
wir ihn pflegen und schützen.
Wohlhabend? Ja, mitunter. Da ist es besonders erfreulich, dass die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem Engagement und zu Spenden an den Freundeskreis wächst.
Das würde ich nicht sagen, aber die Leute wissen, was sie wollen. Sie haben unterschiedliche Erwartungen. Die einen wollen Hochkultur, die anderen lokale Geschichte. Da müssen wir vermitteln, durch Vielfalt oder durch Projekte in denen einfach beides drinsteckt.
Benjamin Tillig ist seit sechs Jahren Leiter des Museum Starnberger See. Der diplomierte Künstler ist außerdem Autor und veröffentlichte verschiedene Bücher zu Architektur und Kunst. Er ist Vater von drei Kindern, lebt mit seiner Familie in München und saniert gemeinsam mit dieser gerade ein Haus in Ammerland.