Im Zeichen der Bauklötze

Im dänischen Billund findet eine Stadt­ent­wick­lung der beson­deren Art statt. Die Mutter­firma des LEGO-Konzerns realisiert einen ganz neuen Stadt­teil. Die Plan­ung folgt dem „Prinzip Play”: Spieler­ische Leich­tig­keit wird zum urbanen Gestalt­ungs­prinzip.

© Visualisierung: KIRKBI

„Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Es kommt nicht oft vor, dass Stadtplanung oder Raumentwicklung in literarischen Vorlagen ihren Anfang nehmen. Im dänischen Billund aber ist dies tatsächlich der Fall. Zumindest hat das Unternehmen KIRKBI sich das obige Zitat von Friedrich Schiller zur Devise genommen, als es um die Entwicklung eines ganz neuen Stadtviertels ging. Das Spiel als Ausweis des Menschlichen – Schiller meinte damit vor allem, dass   weder der bleierne Ernst noch allein der kühle Verstand für uns Menschen handlungsleitend sind oder sein sollten. Wir Menschen wollen spielen. Der Projektentwickler KIRKBI setzt dies nun im Stadtteil Travbyen in dem Sinne um, dass Räume geplant sind, die nicht rationalistisch quadratisch daherkommen, sondern bewusst asymmetrisch wirken, mit versteckten Winkeln und kleinen Gassen. Man darf sich auch mal ein wenig verlaufen. „Wir wollen Orte schaffen, die die Menschen inspirieren und die vielleicht auch ein wenig verspielt wirken“, sagt Christian Nørgaard, Project Director, Real Estate bei KIRKBI, zugleich die Mutterfirma des örtlichen Spielzeugriesen LEGO. Dabei zeigt er auf die Häuser um uns herum, denn wir stehen auf der Baustelle.

Und auch wenn die Gebäude noch im Bau sind, wird klar: Hier wird Stadtplanung etwas anders gedacht. Hier entstehen soziale Räume, die eine gewisse Privatheit mit Plätzen verbinden, an denen sich die Gemeinschaft um jeweils ein begrenztes Set an Häusern – Einfamilienhäuser, Reihenhäuser, Mehrfamilienbauten – ungezwungen treffen können. „Wir wollen Räume für Menschen und Gemeinschaft schaffen“, sagt Nørgaard. Das Spielerische als Element der Stadtentwicklung ist, zumal aus unserer rationalistischen deutschen Sicht, ungewöhnlich. Und auch in Dänemark ist der Gedanke so selbsterklärend nicht. In Billund hingegen macht er Sinn. Denn das Örtchen ist ohne das Element des Spielerischen gar nicht zu denken – durch die LEGO-Klötze eben. Die Welt der Bauklötze ist in Billund omnipräsent. Seit der Gründung der LEGO-Gruppe gehen Stadtentwicklung und unternehmerisches Wachstum dort Hand in Hand. Der LEGO-Konzern war seit seiner Gründung stets ganz eng mit dem Ort verankert und hat dessen Entwicklung mitgeprägt. Die erste Werkstatt des Tischlers Ole Kirk Christiansen steht heute, schön renoviert, unübersehbar im Stadtzentrum.

Den Namen LEGO dachte er sich im Jahr 1934 aus, sinngemäß übersetzt als „Spiel gut“. Zu diesem Zeitpunkt hatte er längst gemerkt, wie lukrativ die Produktion von Spielzeug sein kann. Die ersten Produkte, entwickelt in den Krisenjahren kurz nach dem Ersten Weltkrieg, waren noch aus Holz. 1947 schaffte Ole Kirk Christiansen sich dann eine Kunststoffmaschine an. Seine Nachfolger formten aus LEGO einen Weltkonzern.

Blick ins Zentrum Billunds vom LEGO House
So wird das neue Travbyen aussehen. Für die Planungen zeichnen sechs eher unbekannte, lokale Büros verantwortlich.
© Visualisierungen: KIRKBI

Und dieser entwickelt nun eben ganze Stadtviertel.

550 Wohneinheiten wird der neue Stadtteil am Ende umfassen. Zwei bis fünf Cafés und Läden kommen hinzu, ebenso wie ein Gemeinschaftsgebäude und ein Kindergarten. Dass das Projekt städtebaulich Sinn ergibt, merkt jeder, der vom Flughafen Billund aus ins Stadtzentrum fährt. Er kommt dann nämlich automatisch an Travbyen vorbei. „Mit unserem Viertel wächst die Stadt insgesamt stärker zusammen“, sagt  Christian Nørgaard über die Stadtplanung, für die das Planungsbüro des Stadtvisionärs Jan Gehl verantwortlich zeichnet. Die geplanten Wohnviertel schmiegen sich dabei harmonisch um einen üppigen Park herum, das grüne Herz des Viertels. Stadtplanerisch interessant ist neben der angestrebten Mischung sehr unterschiedlicher Wohnformen die Ansiedlung der Wohngebäude. Bewusst asymmetrisch in die Landschaft gelegt, formen sie kleine Communities, die sich um unterschiedlich angeordnete Innenhöfe konzentrieren. „Wir schaffen so Orte der Intimität, in denen sich Menschen gerne aufhalten“, erläutert Nørgaard. „Eisflocken“ nennen sie die Anordnung. Als Vorbild dienten nicht zuletzt mittelalterliche europäische Städte: Lyon, Wien, Verona. „Diese Städte sind konzentrisch gewachsen, um bestehende Ortskerne herum.“ Autos parken, wenn überhaupt nötig, in zentralen Parkhäusern am Rande. Architektonisch setzt das neue Viertel auf vielfältige Formen und freundliche Farben. Ökologisch wird viel experimentiert. Neue Baumaterialien sollen für ein hohes Maß an Nachhaltigkeit sorgen und auch neues Wissen produzieren. Davon profitiert KIRKBI insgesamt, ebenso wie der gesamte  dänische Real-Estate-Sektor. Wenn nur die vielen Normen nicht wären, die manches ökologische Experiment ausbremsen. „Manchmal macht uns die Verwaltung hier einen Strich durch die Rechnung“, sagt Nørgaard.

Um den exaltierten gestalterischen Entwurf geht es in Travbyen weniger. Ganz bewusst hat Nørgaard mit seinem Team vor allem lokale Architekturbüros verpflichtet, sechs insgesamt. Dänische oder globale Stararchitekten sind nicht mit dabei.

Damit setzt Travbyen auch einen Kontrapunkt zu anderen Gebäuden in Billund. Den Ortskern selbst dominiert nämlich das in allen Architekturzeitschriften gefeierte LEGO House vom weltbekannten Kopenhagener Architekturbüro BIG. Das Gebäude, eine Art LEGO-Markenpark, setzt die Idee des LEGO-Steinchens in große Architektur um. Eigentlich eine naheliegende Idee. Die muss man aber a) auch erst einmal so formulieren und dann b) auch wirklich architektonisch ansprechend umsetzen.

Für eine solche Bauaufgabe ist der Architekturvisionär Bjarke Ingels genau der Richtige. Es überrascht daher nicht, dass sich sein Büro BIG in dem internationalen Architekturwettbewerb gegen andere Größen der Branche durchsetzte.

Heraus kam ein durchaus beeindruckendes Stück Brand Architecture auf 12.000 Quadratmetern. 2017 war Eröffnung. Der LEGO-Stein wurde zum Vorbild der 21 Einzelmodule, die sich um einen zentralen Freiraum in einer Art Pyramidenstruktur stapeln. Eine überbaute Plaza fungiert als helles Foyer.

Man merkt dem Gebäude an, wie stark sowohl der LEGO-Konzern als auch KIRKBI heute architektonisches Denken in ihrer Firmenkultur verankert haben. Dies kommt nicht zuletzt durch den Firmenpatriarchen der dritten Generation, Kjeld Kirk Khristiansen. „Kjeld hat einen sehr ausgeprägten Sinn für Architektur und Kunst“, so Nørgaard. Unter seiner Ägide haben KIRKBI und der LEGO-Konzern in Billund einen signifikanten baulichen Niederschlag hinterlassen. Die LEGO-Firmenzentrale (nicht zu verwechseln mit dem rein markenbezogenen und an die breite Öffentlichkeit gerichteten LEGO House) entstammt der Feder des Architekturbüros C. F. Møller. Den Campus der Mutterfirma KIRKBI erweiterte mit viel Holz das ebenfalls dänische Büro Schmidt Hammer Lassen. Mit all diesen Bauaktivitäten machen KIRKBI und die LEGO-Gruppe Billund zu einer Art architektonischem und städtebaulichem Gesamtkunstwerk. Dem wird nun mit dem neuen Stadtviertel ein Stück gelebte urbane Wirklichkeit an die Seite gestellt.      

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