Einfach nur wohnen

Deutschlands Wohnungsbau befindet sich weiter in der Krise. Gerade hier kann der Lowtech-Ansatz helfen, argumentiert in diesem Beitrag der Architekt Stefan Ullmann, Sustainability Manager bei der e+k upcycle.

In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen, wir stehen damit vor einer riesigen Bauaufgabe für die nächsten Jahre. Gleichzeitig sind viele der bestehenden Wohnungen sanierungsbedürftig, meist aufgrund schlechter Energieeffizienz und mangelnder Altersgerechtigkeit. Wir müssen uns also fragen: Wie wollen wir wohnen? Und wie wollen wir Wohnraum bauen? Die Antwort: einfacher.

Das knappe Gut Wohnraum soll schneller und kostengünstiger hergestellt werden, darin sind sich eigentlich alle einig. Wie das erreicht werden kann, ist jedoch nicht pauschal zu beantworten. Serielles Bauen mit hohem Vorfertigungsgrad, Nachverdichtung im urbanen Raum und viele weitere Ansätze zeigen vielversprechendes Potenzial. Vor allem aber sollte einfacher gebaut werden. „Weniger ist mehr“ gilt auch heute noch, wenngleich der Modernist Ludwig Mies van der Rohe damit sicherlich etwas anderes meinte.

Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat das Potenzial der Einfachheit ebenfalls erkannt und den Gebäudetyp E (E für einfach, experimentell, effizient) ins Leben gerufen, mit dem Entwicklern, Planern und Baubeteiligten neue vertragsrechtliche Möglichkeiten eröffnet werden sollen. Wenn lediglich der Komfort beeinträchtigt ist, soll von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abgewichen werden können, ohne dass sich daraus ein Sachmangel ergibt. So sollen einfachere und damit günstigere Bauweisen (wieder) ermöglicht werden. Ein Bauwerk und seine Kosten lassen sich grob gesprochen in zwei Kategorien betrachten: die Baukonstruktion und die Gebäudetechnik. Eine Vereinfachung der Baukonstruktion ist beispielsweise in den Decken durch Reduzierung des Schallschutzes möglich. Als weiterführende Lektüre sind die Publikationen um die TUM-Forschungshäuser in Bad Aibling des Architekten Florian Nagler besonders zu empfehlen. Sie erforschen nicht nur systematisch die Vereinfachung von Konstruktion, sondern setzen sie auch mit einem hohem Gestaltungsanspruch um.

Als Lowtech wird aber hauptsächlich die Vereinfachung, Reduzierung oder der vollständige Verzicht auf Gebäudetechnik beschrieben. Die Vorteile eines Lowtech-Ansatzes im Büro erläutert in dieser Ausgabe auch Marco Ulivieri. Sie sind jedoch im Wohnungsbau ebenfalls anwendbar. Im Gegensatz zur Konstruktion, die eine Lebensdauer von bis zu mehreren Jahrhunderten haben kann beziehungsweise soll, hat Gebäudetechnik selbst bei sehr guter Wartung nur eine Lebenserwartung von wenigen Jahrzehnten und verursacht immer laufenden Energieverbrauch. Damit ergibt sich ein hohes Einsparpotenzial an Bau- und Wartungskosten sowie Energie über den Lebenszyklus eines Gebäudes.

Der Lowtech-Ansatz elektrisiert nicht zuletzt auch die Wissenschaft.

Ganz konkret ist eines der allergrößten Einsparpotenziale die Lüftungstechnik, auf die tatsächlich im Wohnungsbau idealerweise ganz verzichtet werden kann. Die Pflicht zum Einsatz einer mechanischen Lüftung besteht nämlich lediglich für Bäder, WCs und für Küchen ohne Fenster. Eine wirklich kluge (und durch die zusätzliche Belichtung meist auch deutlich attraktivere) Grundrissgestaltung kann diese also vollständig entbehrlich machen. Es wird dann angenommen, dass die Bewohner durch ihr Fenster-Lüftungs-Verhalten einen ausreichenden Mindestluftaustausch gewährleisten, um Feuchteschäden am Gebäude zu verhindern.

Ein Blick in die Vergangenheit kann dabei lehrreich sein.

Bis in die Gründerzeit übliche Lüftungen durch innenliegende Fenster zwischen belüfteten und unbelüfteten Räumen, meist zwischen Bad und Küche, haben sich als nicht ausreichend leistungsfähig für den Feuchteschutz erwiesen und sind schlichtweg nicht mehr zeitgemäß, daher die Anforderung für innenliegende Räume. Dichte Bauweisen wie die Hamburger Schlitzbauten aber liefern ein gutes Beispiel dafür, dass auch bei großen Gebäudetiefen durch entsprechende Lichthöfe beziehungsweise -schlitze die natürliche Belüftung aller Nebenräume möglich ist und zu attraktiven, gefragten Grundrissen führen kann. Während die naturgemäße Undichtigkeit damaliger Fenster und Türen in alten Gebäuden immer einen nutzerunabhängigen Luftaustausch gewährleistete, kann dieser in neuen, weitgehend luftdichten Gebäuden durch Fensterfalzlüftungen oder andere Luftdurchlässe in der Außenhaut ohne mechanische Bauteile hergestellt werden. Dieser Mindestluftaustausch reduziert auch bei untypischem Nutzerverhalten oder längerer Abwesenheit das Risiko von Feuchteschäden.

Lowtech erfordert auch ein Umdenken auf Seiten der Bewohner.

Das Nutzerverhalten bestimmt aber dennoch vorrangig die Effizienz der Fensterlüftung für Luftqualität und Energiekosten. Es ist Hauptursache der sogenannten „Energy Performance Gap“. Diese bezeichnet den Effekt, dass hochtechnisierte Bauten oft weniger effizient sind als anhand der Normen errechnet – und umgekehrt ältere Gebäude meist nicht so schlecht sind wie erwartet. Denn Nutzer lüften auch trotz Hightech-Aircon, sei es aus Gewohnheit, Unwissen oder schlicht dem Wunsch, die Vögel zwitschern zu hören. Ein Gebäude mit mechanischer Lüftung ist nicht vor „falschem“ Lüftungsverhalten gefeit und damit kein Garant für bessere Energieeffizienz. Im Gegenteil: Die verbauten Ventilatoren verbrauchen mehr Energie, fallen oft aus, müssen regelmäßig gewartet und irgendwann ersetzt werden.

Doch auch in anderen Bereichen ist eine Vereinfachung möglich, ein Beispiel wäre die Elek­troinstallation: Benötigen wir alle eine Video-Gegensprechan­lage – oder tun es auch Klingel und Türspion? Braucht es im Wireless-Zeitalter noch mehr als eine LAN-Buchse? Haben Netflix und Co. den Kabelanschluss nicht längst ad absurdum geführt?

Je smarter unsere Gebäude werden, desto anfälliger werden diese auch.

Während ein verdrehter Rollladengurt auch von handwerklich nur mäßig begabten Bewohnern selbsttätig wieder gerichtet werden kann, werden selbst Technikaffine chancenlos sein, wenn sich die motorisierte Rollladenwelle von der Sprachsteuerung entkoppelt hat, von Fragen der Cyber­sicherheit einmal ganz abgesehen.

Einfaches Bauen erfordert sicher auch etwas genügsamere Bewohner. Doch Wohnraumqualität hat – wie so vieles im Leben –  einen stark abnehmenden Grenznutzen. Die nach wie vor hohe Nachfrage nach älteren Bestandswohnungen – und die  geringen Mietabschläge dafür – zeigen deutlich, dass die Komfort-Vorteile von Neubauten kaum im Verhältnis stehen zu anderen Kriterien und Bedürfnissen an Lage, Größe und Bezahlbarkeit. Vor allem Letzteres soll durch die Vereinfachung und Enttechnisierung unserer Gebäude beflügelt werden. Die allermeisten Menschen wollen doch „einfach nur wohnen“ – warum also nicht „einfach bauen“?

Die große Frage: Wie stark lässt sich unser Leben vereinfachen?

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