Der Rahmen hätte passender nicht sein können. Im Maschinenhaus in München, das sich gerade in Sanierung befindet, hielt der Vorarlberger Architekt Dietmar Eberle ein fulminantes Plädoyer für ein Bauen mit weniger – „weniger Technologie, weniger komplizierte Dämmung, weniger hochindustrielle Lösungen“ im Bausegment. „Man kann anders bauen“, so Eberle. Genau dieser Idee folgend saniert der Münchner Architekt Andreas Hild gerade den Bau am Krankenhaus Schwabing. Gelebtes Lowtech.
Diese Haltung erläuterte dann auch Eberle den Zuhörerinnen und Zuhörern aus der Immobilienszene – und zwar primär anhand des eigenen Bürositzes. Im Örtchen Lustenau haben die Architekten von Baumschlager Eberle mit ihrem Bürogebäude nämlich den „ersten reinen Lowtech-Bau der Welt“ realisiert. Der Bau hat schlicht überhaupt keine technische Belüftung oder Heizung.
Aus einfachem Input Komplexes schaffen – dieses Prinzip bringen die Illustrationen von Luis de la Barrera-Montenegro auf den Punkt.
„2226“, so der Name des architektonisch ansprechenden Bürobaus. Der Name ist Programm: „Bei uns ist es immer zwischen 22 und 26 Grad warm“, so Eberle. Und das ausschließlich durch jene Wärmequellen, die sowieso anwesend sind: Beleuchtung, Rechner, Kopierer, Kaffeemaschinen – und die Nutzer. „Jeder Mensch hat eine Wärmeabstrahlung von durchschnittlich 80 Watt“, erläutert Eberle. Eine bestechende Überlegung – wie auch die Idee des Lowtech insgesamt die Immobilienwelt fasziniert. Die Hoffnung in den Ansatz sind groß, auch angesichts galoppierender Baukosten.
Davon, dass dieser Ansatz funktionieren kann, sind Experten überzeugt. Zum Beispiel Thomas Auer, Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München.
Er sagt: „Durch die Optimierung passiver Maßnahmen – thermische Masse, hoher Dämmstandard, reduzierte Fensterflächen, kontrolliert natürliche Lüftung – lassen sich energieeffiziente Gebäude ohne aktive Heiz- oder Kühlsysteme umsetzen.“
Genau diesen Ansatz verfolgt er im ehret+klein-Projekt „Maschinenhaus Schwabing“. Das Gebäude setzt auf eine natürliche Belüftung und ein Podest in der Mitte des riesigen Raumes, auf dem die verschiedenen Stockwerke zentral platziert sind. Außen herum zirkuliert die Luft. Doch Lowtech ist nicht nur ein belüftungstechnischer Ansatz. Dahinter steckt im Bereich der Architektur eine ganze Philosophie zu intelligenten, aber weniger komplexen Lösungen. Deshalb steht auch besonders der Erhalt von Bestandsimmobilien im Fokus dieser Philosophie. Andreas Hild, Gründer des Münchner Architekturbüros Hild & K, erläutert:
Allerdings muss man sich auch einlassen auf die Möglichkeiten architektonischer Umgestaltung. Und: Nicht jedes Architekturbüro hat überhaupt wie Hild & K das Know-how, Bestand baulich ansprechend zu revitalisieren. Bestandserhalt und Lowtech muss man eben lernen. Und man muss sich darauf einlassen. Das gilt nicht nur in der Architektur. Lowtech ist ein Lifestyle. Und der liegt im Trend. Folgerichtig entstehen momentan auch weltweit immer mehr sogenannte Lowtech Communitys. In ihnen kommen kluge Köpfe mit unterschiedlichen Bildungshintergründen zusammen, um zu erproben, wie viel Lowtech im wirklichen Leben geht und praktikabel ist.
Lowtech ist eine Bewegung, in der Wissenschaft und Praxis Hand in Hand arbeiten. Weltweit gründen sich immer mehr Lowtech-Communitys. Das Schöne: Die Besinnung aufs Einfache kreiert neue Geschäftsfelder.
Ein solche Lowtech-Community ist das „Akasha Hub“ in Barcelona. Hier kommen kreative Köpfe aus allen Branchen Barcelonas zusammen und testen Erprobungsfelder für Lowtech-Ansätze. Das „Green City Lab“ erprobt die Grenzen des Urban Gardening. Das Projekt „Geo-Llum“ erforscht, wie Mikroorganismen im urbanen Leben genutzt werden können. Und das „Low Tech Magazine“ versteht sich als Plattform für gute, tech-arme Ansätze weltweit.
Und davon gibt es reichlich. 1.056 einzelne Projekte verzeichnet beispielsweise die Website des französischen „Low-tech Lab“, die solche Ansätze aggregieren möchte. Und auch in Deutschland tut sich viel. Die Agraringenieurin Katrin Pütz hat kleine Biogasanlagen entwickelt, die man im Rucksack tragen kann. Primär Bauern in Afrika können damit einfach Gas zur Energieversorgung produzieren und die vergorene Masse als Dünger einsetzen. Einen „Tunneltrockner“ hat der Hohenheimer Ingenieur Werner Mühlbauer entwickelt. Damit lassen sich Früchte, Getreide, Fleisch oder Fisch komplett ohne Strom haltbar machen. Den nötigen Luftdurchzug erzeugt ein mit Solarenergie betriebener Ventilator.
In Holland stellt das Unternehmen „Groundfridge“ Erdkeller her. Wie früher in Bauernhäusern üblich, wird hier die Erde als natürlicher Kälte- und Befeuchtungsspender genutzt. Der Designer Floris Schoonderbeek hat die kleinen Kellerräume namens Groundfridge entworfen. Eine rund einen Meter dicke Erdschicht hält die Temperatur im Inneren der Kellerkisten konstant bei zehn bis zwölf Grad. Kurzum: Es tut sich viel in Sachen Lowtech.
Vor allem der Aspekt, dass Lowtech zugleich auch ein Element des Empowerments bereithält, fasziniert viele Forscherinnen und Forscher: Lowtech heißt eben schlicht, dass wir alle uns einfache Lösungen aneignen können, anstatt auf teuer eingekaufte Hightech-Hilfsmittel zu setzen. Ein Team um die Forscherin Audrey Tanguy schreiben in einem Fachartikel: „Low-tech is … appropriable which means that individuals and communities can potentially design, build, and/or operate technical objects.“ Dieser Ansatz firmiere in der Forschung als „democratic reappropriation of know-hows” … oder als “technological sovereignty“.
Der Begriff der Souveränität beschreibt, dass es bei vielen Lowtech-Ansätzen um die Rückeroberung von Freiheitsräumen geht. Nicht grundsätzlich gegen Technologie, sondern indem man diese auf jene Orte beschränkt, an denen sie wirklich Sinn ergibt. Indem man sich bewusst mit den Pros und Cons neuer Technologien auseinandersetzt.
Der Ansatz: Zu viele Bildschirme stören die zwischenmenschliche Kommunikation und lassen uns letztlich sozial verkümmern.
Dagegen kann und sollte man etwas tun. Der französische Ort Seine-et-Marne hat diesbezüglich im Februar vorgelegt – und sich selbst kurzerhand zum „smartphonefreien Gemeinde“ deklariert. Die Verbannung des omnipräsenten Handy-Bildschirmes soll die Menschen wieder zum Dialog ermuntern. Ein drastischer Schritt und womöglich einer, der nicht ganz funktionieren wird – aber die Grundtendenz ist schlüssig. Wichtig bei alledem: Lowtech ist nicht per se wirtschafts- oder wachstumsfeindlich. Vielmehr erschließt die Idee neue Geschäftsfelder. Mag sein, dass sie zugleich überkommene Business-Modelle obsolet macht. Aber dagegen haben ja auch Wirtschaftstheoretiker nichts. Überlegene Lösungen ersetzen andere – das ist komplett im Sinne Schumpeters.
Literatur
Audrey Tanguy, Lisa Carrière und Valérie Laforest, 2023: Low-tech approaches for sustainability: key principles from the literature and practice. Sustainability Science, Practice and Policy, Vol. 19
Als Autor und Wissenschaftler sind Alexander Gutzmer handwerkliche Themen eher fremd. Privat aber saniert er mit seiner Frau und dem Architekten Benedict Esche gerade ein 70er-Jahre-Wohnobjekt – und das ist nun wieder sehr Lowtech.